Tod am Chiemsee (German Edition)
dir so was ausgerechnet jetzt ein?, fragte sie sich.
Sie wählte, und als die Verbindung stand, erkundigte sich Friederike
nach Gerlinde Dissler, sagte, sie brauche die Vergangenheit der Frau.
Haarklein.
Friederike sah Roman Winkler, ihren Gesprächspartner, vor sich. Ein
großer schlanker Mann. Kurzes dunkles Haar, mit ein bisschen Grau durchzogen,
dazu lustige braune Augen und einen Schnurrbart. Seine Stimme war wie Sirup,
sie umhüllte einen süß und klebrig. Da war nichts Raubeiniges. »Friederike, du
hörst dich so anders an. Wenn das diese Insel mit dir macht, dann komme ich und
hole dich.«
Würde ihr das gefallen? Jemanden, dem wirklich etwas an ihr lag. Du
hast dir bloß immer die falschen Männer ausgesucht. Sogar jetzt würdest du
nicht Nein sagen, wenn Lukas Lanz dich haben wollte. Er will nur nicht.
»Lukas Lanz ist wahrscheinlich ein Mörder«, versuchte sie sich zu
überzeugen.
»Wer bitte ist Lukas Lanz?«, fragte Roman.
»Entschuldige, ich hab laut gedacht«, sagte Friederike und ermahnte
sich, das in Zukunft zu unterlassen.
»Hast du denn was zu Gerlinde Dissler? Mein Gefühl sagt mir, da war
etwas. Sie ist Malerin. Man könnte sagen, wir leben fast am selben Fleck.«
»Bist du etwas auf der Spur? Irgendwelche Unstimmigkeiten auf
Frauenchiemsee? Jetzt sag mir nicht, es hat mit den beiden Skeletten zu tun.«
Natürlich lag München nicht auf der anderen Seite des Globus.
Friederike quittierte es mit einem Lächeln. »Ich weiß es noch nicht so genau,
aber ich weiß, dass ich gern mehr über Gerlinde Dissler erfahren möchte. Und du
warst immer der Erste, den ich gefragt habe.« Das betonte sie. Einerseits, weil
ein Lob immer eine Art Ansporn war, und zum anderen, weil es stimmte.
Roman versprach, zurückzurufen. Und Friederike drehte noch eine
Runde – diesmal nur in Gedanken. Sie machte es sich auf ihrer kleinen Terrasse
gemütlich. Vom Weg aus war diese nicht einzusehen.
Sie legte ihre Beine hoch und döste ein wenig. In letzter Zeit war
ihr aufgefallen, dass sie zwar nicht mehr anschwollen, aber sie schmerzten nach
einem langen Tag.
Solche langen Tage hatte sie nun nicht mehr oft. Eigentlich schade.
Sie brauchte eine Aufgabe; das ganze Jahr Urlaub machen, das ging überhaupt
nicht. Ja, vielleicht sollte sie sich wirklich ein Boot kaufen und einen
Segelkurs machen.
Keine üble Vorstellung.
»Und ich bin weder alt genug noch hässlich genug, um keinem Mann
mehr zu gefallen«, bemerkte sie.
»Na ja, ein bisschen alt bist du doch – aber Albert Einstein hat
gesagt, dass alles relativ ist.« Maximilian huschte hinter einem Busch hervor.
Unerträglich. Wen interessierte schon, was ein toter Wissenschaftler
zu sagen gehabt hatte. »Ich nähe dir den Mund zu«, drohte sie. Das war einer
ihrer ehemaligen Fälle gewesen, nur hatte derjenige das selbst besorgt – er
wollte nicht mehr sprechen und danach war er tatsächlich sprachlos. Gerade
hätte Friederike Villbrock das bei ihrem Enkel ganz wunderbar gefunden.
»Oma, du solltest eben keine Selbstgespräche führen … dann würde ich
auch nichts mitkriegen.«
Sie liebte Selbstgespräche. Dass jemand etwas davon mitbekam, war
keineswegs beabsichtigt. Hätte ihre Tochter nicht die Präsentation in New York
für diese Modefirma übernommen, dann wäre Friederike jetzt nicht in so einer
schauderhaften Lage. Ein Kind sollte man pflegen wie eine Erkältung. Nämlich
alles tun, um es schleunigst wieder loszuwerden.
Was Maximilian mitbekommen hatte, sollte sie einen Tag später um
diese Zeit ganz genau wissen …
Ihr Telefon gab gerade die ersten Takte eines Songs aus den
Fünfzigern zum Besten – die Räuberballade; irgendwann hatte sie das Lied
passend gefunden. Sie sollte es vielleicht ändern.
Ihr Enkel hielt sich die Ohren zu und lief angeekelt zurück ins
Haus. Prima. Vielleicht würde sie die Melodie doch lassen.
Roman Winkler hatte offenbar tatsächlich etwas entdeckt. Zunächst
hörte es sich reichlich unspektakulär an. Doch Friederike wusste, wenn es zu
einer Person eine Eintragung im Computer gab, dann, weil gegen sie etwas vorlag
oder weil sie in Verbindung zu einer Straftat stand.
»Gerlinde Dissler hatte in den Jahren 1973 bis 1978 im Büro der
St.-Irmengard-Schule auf Frauenchiemsee eine Sekretärinnenstelle.«
O ja, das hatte sie und noch einiges mehr, dachte Friederike.
»Warst du dort nicht auch Schülerin?«, fragte Roman. »Danach kam ihr
Durchbruch als Malerin, ihre Bilder erzielten Sensationspreise. Später
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