Tod am Chiemsee (German Edition)
wieder«,
sagte Jadwiga. »Wenn man vom Charakter damals absieht.«
Mit zögerlichem Finger zeichnete Althea ihr eigenes Gesicht auf dem
Bild nach. »Diese Erinnerung gehört zu den verlorenen«, sagte sie. Natürlich
hatte sie genau gewusst, dass sie verdammt sexy war und hübsch, aber das
Gesicht auf dem Foto war mehr als das – schön.
»Oh, und Friederike Villbrock.« Sie tippte auf die jugendliche
Friederike. »Wir könnten das Bild vervielfältigen lassen.«
»Mit welcher Absicht, liebe Althea? Um der ehemaligen Richterin zu
zeigen, was damals war und was heute ist?«
»Du hast recht, ich bin schäbig. Nein, lassen wir die Vergangenheit
Vergangenheit sein.« Althea schaute noch einmal in jedes Gesicht und wusste,
sie hatte gerade gelogen.
Plötzlich stutzte sie. Da stand etwas abseits ein Mann, die Kamera
hatte nur sein Profil erfasst. Er hielt etwas in der Hand. Offenbar war er
unabsichtlich aufs Bild geraten.
Sie sah genauer hin. Das konnte eigentlich nicht sein … »Wer ist das
da im Hintergrund?«
Jadwiga ließ sich zeigen, was Althea meinte. »Ach so, das kann
eigentlich nur Gregor Tümmler sein. Dein Lieblingskünstler.« Sie zwinkerte.
»Als ihr Schülerinnen wart, hat er bei uns Gartenarbeiten erledigt.«
Gartenarbeiten. Der Gärtner war immer der Mörder. Und manches Mal
stimmte es sogar. Sie musste ganz dringend mit Gregor reden.
Aber erst ging es noch darum, dass Stefan am nächsten Tag vorhatte,
Friederike Villbrock in die Rumpelkammer zu einer Befragung einzubestellen.
Natürlich hatte es Jadwiga das »improvisierte Büro« genannt, doch für Althea
war es nach wie vor die Rumpelkammer.
»Macht die Richterin morgen den Anfang? Wen wird Stefan denn sonst
noch alles befragen?« Dabei glaubte Althea nicht, dass Stefan der Priorin das
auf die Nase band. Aber vielleicht tat er es aus Höflichkeit doch.
»Mich zum Beispiel. Ich war damals Novizin«, sagte Jadwiga.
»Ganz offensichtlich gibt es da noch mehr Verlorenes«, musste Althea
zugeben.
Aber zu der Zeit war ihr das alles furchtbar egal gewesen. Und wenn
Schwester Jadwiga schon immer diesen Oberlippenbart gehabt hatte, dann war sie
von Marian Reinhart erst gar nicht beachtet worden. – Zum Glück nicht, denn
sonst würde die Priorin sie heute todsicher verabscheuen.
Althea wünschte Jadwiga eine gute Nacht. Sie selbst war noch nicht
so weit.
Diesmal würde sie sich aber umziehen. Jeans und T-Shirt für ihren
Ausflug über den See.
Stefan hatte seine Zimmertür abgesperrt. Hoffentlich beeilte er
sich mit dem Öffnen, damit sie nicht noch eine von den Schwestern so zu Gesicht
bekam. »Ich bin’s und grade bin ich auch keine Nonne … mach bitte auf!«
Er beeilte sich überhaupt nicht. Erst als Althea schon dachte, sie
hätte irgendwo hinter sich im Gang Schritte gehört und müsste sich schnellstens
einen Fluchtweg überlegen, drehte sich endlich der Schlüssel im Schloss.
»Ja … bitte.« Es klang wie eine Frage. Zögerlich.
»Wie, ja bitte? Stefan, lass mich rein, sonst sieht mich noch
jemand.«
»Tante Marian!«, sagte er. Er hatte sie in dem spärlichen Licht und
in der Kleidung nicht erkannt.
»Bist du auf der Flucht? Und wohin soll die gehen?« Endlich hielt er
ihr die Tür auf. Althea schlüpfte über die Schwelle und machte hinter sich zu.
Wenn sie jemand gesehen hatte und ihr gefolgt war, dann war sie
jetzt einfach verschwunden. Niemand würde sich ohne einen triftigen Grund hier
hereinwagen. Und hinaus würden sie einen anderen Weg nehmen. Falls sich ihr
Neffe dazu entschließen konnte, sie zu begleiten.
Beide begannen gleichzeitig mit ihrer Einleitung.
Stefan sagte: »Es hat sich einiges ergeben.«
Und Althea sagte: »Es ist einiges passiert.«
Sie saßen auf dem Bett, Althea hatte ein Bein untergeschlagen und
fühlte sich ziemlich wohl in ihren Jeans. In Stefans Blick lag ein Lächeln,
ganz sicher der Vorbote eines Kompliments. Von denen hatte sie heute ja schon
einige bekommen.
»So gefällst du mir viel besser.«
»So könnte ich mir zu gut gefallen, und dann haben wir den Salat.
Lassen wir es lieber so, wie es ist. Hör zu, ich muss raus auf den See. Dort
treibt ein Boot. An einer Stelle, von der aus man die Herreninsel sehen kann,
aber weder Gstadt noch Stock.«
Was da aus ihrem Mund kam, klang so rätselhaft, als hätte es die
alte Kath formuliert.
»Willst du gar nicht wissen, was ich herausfinden konnte? Gut, ich
war es nicht allein. In jedem Fall war der gestrige Tag nicht umsonst.« Stefan
sah
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