Tod am Chiemsee (German Edition)
Als sie an dem
Morgen bei mir war, hatte sie eine Packung Zigaretten dabei, sie rauchte
selten, eigentlich kaum. Und in der Packung fand ich dann den Zettel.« Martin
Sattler griff in die Tasche seines Jankers und gab Stefan ein gefaltetes
Papier.
Ganz schön ängstlich. Ja, da wäre ich auch ganz schön ängstlich
gewesen, dachte Stefan, wenn ich die halbe Insel erpresst hätte. In früheren
Zeiten hätte man jemanden wie Gerlinde Dissler geschnappt und am nächsten Baum
aufgeknüpft.
Er las die Notiz auf dem Zettel.
Verabredung im schmalen Durchgang um vier –
wünsch mir Glück!
Kein Name, aber der Beweis, dass Gerlinde Dissler ermordet worden
war. Noch ein Beweis.
Martin Sattler wusste nicht, wen sie mit ihrem Wissen erpresst
hatte. »Sie war richtig fröhlich«, sagte er. »Sie muss gewusst haben, wem der
Koffer gehört hat. Sie muss es ganz sicher gewusst haben.«
Ganz sicher gewusst haben. Wodurch? Bestimmt nicht durch die Route,
auf dem Pergament musste noch etwas anderes zu entdecken sein. Er würde sich
Gerlindes Fotos am Laptop noch einmal vornehmen müssen.
»Habe ich Ärger zu erwarten?«, fragte Martin Sattler. »Weil ich den
Koffer anonym abgegeben habe und weil ich mich nicht eher bei der Polizei
gemeldet hab?«
»Sie haben Ärger zu erwarten, wenn Sie Gerlinde ermordet haben«,
sagte Stefan Sanders.
Sattler wurde blass, er schüttelte den Kopf. »Genau darum kann man
euch nichts sagen. Herrschaftszeiten! Ich werde nicht wegfahren, ich bin da,
wenn Sie was wollen. Wahrscheinlich bin ich der, der Gerlinde am meisten
gemocht hat. Bei mir gab’s auch kein Geld zu holen.« Der Fischer drehte sich
aufgebracht auf dem Absatz um, deutete einen Gruß an und zog die Tür von außen
zu.
Stefan konnte seine Schritte auf dem Gang hören.
Er kam nicht dazu, sich weiter Gedanken zu machen, weil sich in
diesem Moment die Tür zur Rumpelkammer erneut öffnete.
Die ehemalige Richterin klopfte nicht an, sie spazierte einfach
herein in einer schicken Blazer-Hosenkombination, lässig – bis sie niesen
musste und in ihrer Handtasche eilig nach einem Taschentuch kramte. Näselnd
versuchte sie anschließend, Stefan damit zu drohen, dass sie immer noch
exzellente Kontakte in die Landeshauptstadt habe und eine solche Behandlung
nicht so einfach hinnehmen werde.
Stefan bat sie, Platz zu nehmen. Ein Sünderstühlchen für Friederike
Villbrock.
»Sie sind a. D., und soweit ich weiß, steht das für ›außer
Dienst‹. Reden wir über Diebstahl und reden wir über Verschleppung von
Beweismitteln und reden wir über Amtsanmaßung.«
»Worüber reden wir?« Jetzt schluckte sie und wurde beinahe so blass
wie Martin Sattler eben. Aber Stefan hegte die Vermutung, dass die ehemalige
Richterin vor allem mit der Umgebung Probleme hatte, nämlich mit dem Staub und
weniger mit den Anschuldigungen.
»Sehen Sie, wir verstehen uns«, sagte er zufrieden. »Das fehlende
Beweismittel im Mordfall Rick Dante. Ich habe Ihre Notiz gesehen, und Sie waren
die letzte Person, die sich die Akte über Marian Reinhart und Rick Dante zu
Gemüte geführt hat.« Das hatte er absichtlich so scharf formuliert, weil die
ehemalige Richterin ungeniert eine gewisse Befriedigung zeigte. Und ein
entsprechender Kommentar ließ auch nicht lange auf sich warten.
»Herr Kriminalkommissar … Marian Reinhart ist eine rechtskräftig
verurteilte Mörderin! Da können Sie sich auf den Kopf stellen. Auch wenn Sie
die Dinge vielleicht aus einer anderen Perspektive sehen, das entlastet die
schöne Nonne nicht.« Ein erneutes Niesen, begleitet vom Geraschel, als
Friederike Villbrock ein frisches Taschentuch aus dem Plastik zog. Sie tupfte
ihre Augen ab, die sich gerötet hatten.
»Seien Sie vorsichtig mit Ihren Äußerungen.« Stefan versuchte ruhig
zu bleiben. Er hoffte, dass sich ihre Allergie weiterhin so prächtig
entwickelte.
»Was wollen Sie denn beweisen? Dass Ihre Tante unschuldig ist?« Sie
verzog das Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse.
»Und was heißt hier Amtsanmaßung …«, fuhr sie fort. »Wie denn das
und wem gegenüber? Es ist doch wohl eher so, dass mich jemand als Frau
Richterin angesprochen hat und ich das nicht berichtigt habe. Wollen wir
kleinlich sein, Herr Kommissar?«
O ja, wir wollen, dachte Stefan, aber er wusste, dass er hier nicht
punkten konnte. Aber seinen Trumpf hatte er noch gar nicht ausgespielt.
»Wir sind augenblicklich dabei, die Daten auf der Speicherkarte von
Gerlinde Dissler auszuwerten. Und natürlich das
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