Tod am Kanal
die
Zentralstation in Friedrichstadt zu erreichen. Es meldete sich niemand. »Die
machen sich ein schönes Leben«, sagte er und fragte dann in der Zentrale nach.
Dort war nichts davon bekannt, dass man Fouad al-Sharas habhaft geworden war.
Dann meldete sich die Pforte. »Hier ist ein ziemlich
aufgebrachter Herr, der Herrn Johannes sprechen möchte, nachdem der Chef ihn
nicht empfangen wollte.«
Kurz darauf stürmte Professor Ehrenberg zu Rantzau in
den Raum. Er steuerte direkt auf Christoph zu. Dabei wehten die Rockschöße
seines Burberry-Trenchcoats.
»Sie … Sie …«, kam es aufgebracht über seine Lippen.
»Gestern habe ich Sie gewarnt, dass meine Tochter bedroht wird. Und was
unternehmen Sie?« Er holte tief Luft.
»Wollen Sie nicht erst einmal Platz nehmen?«, fragte
Christoph.
»Ich will mit Ihnen keine Höflichkeiten austauschen.
Wissen Sie, was mit Rebecca geschehen ist? Ihr ganzes Leben ist ruiniert.«
»Der Sachverhalt, über den wir gestern sprachen,
deutete in keiner Weise auf eine Gewalttat hin, wie sie gegenüber Ihrer Tochter
verübt wurde. Es tut uns leid, was geschehen ist. Und ich versichere Ihnen,
dass wir alles unternehmen, um den Verantwortlichen zu finden.«
»Das ist eine Farce. Ich habe gestern Abend mit Herrn
von Dirschau gesprochen, dessen Sohn am Heiligabend vor der Kirchentür in
Marschenbüll von einem durchgeknallten Sittlichkeitsverbrecher brutal ermordet
wurde. Sie haben diese Bluttat nicht verhindert. Und jetzt geschieht dieses
unfassbare Verbrechen an meiner Tochter. Sie wissen, dass Herr von Dirschau
seit der letzten Wahl Abgeordneter im Kieler Landtag ist. Er wird seinen ganzen
Einfluss geltend machen, dass solche Leute wie Sie nicht weiter ihr Unwesen
treiben können. Eigentlich habe ich geglaubt, die Polizei soll den Bürger
schützen. Aber wenn alle so arbeiten wie Sie und Ihre Leute, dann … Es ist eine
Schande, wofür unsere Steuergelder verschwendet werden.«
»Ich verstehe Ihre Aufregung, Herr Professor zu
Rantzau. Unser Mitgefühl gilt Ihnen und Ihrem Kind. Aber mit Beschimpfungen
gegen die Polizei kommen wir nicht weiter. Sie sind Jurist und wissen, dass wir
gestern ohne Anzeige nicht tätig werden konnten. Doch die wollten Sie nicht
erstatten. Warum eigentlich nicht?«
»Das geht Sie nichts an.« Zu Rantzau schnappte nach
Luft und fasste sich ans Herz. Das Attentat auf Rebecca hatte ihn sichtlich
getroffen.
»Wollen Sie ein Glas Wasser?«, fragte Christoph und
zwinkerte Große Jäger zu, der hinter dem Mann stand und gerade den Mund
öffnete, um seine Antwort auf die Vorwürfe zu geben, die Professor zu
Rantzau vorgetragen hatte.
»Kommen Sie mir nicht mit Abschweifungen. Ich will!
Ja! Will! Sie müssen sofort tätig werden und die Ungeheuerlichkeit aufklären,
die meiner Tochter widerfahren ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie
wichtigere Dinge auf Ihrem Schreibtisch haben, und bin erschüttert, dass Sie
hier gemächlich beim Kaffeeplausch hocken, statt da draußen nach diesem
Verbrecher zu fahnden.« Zu Rantzau zeigte mit ausgestrecktem Arm zum Fenster,
durch das die Geräusche einer anfahrenden Diesellokomotive vom Bahnhof herüberdrangen.
»Mit kopfloser Panik kommen wir dem Täter sicher nicht
auf die Spur.« Christoph unterließ es, den aufgebrachten Mann darüber zu
informieren, dass auch noch zwei Morde auf ihre Aufklärung warteten. Es war
natürlich, dass der Vater das Verbrechen an seiner Tochter als vordringlich
ansah. »Wie geht es Rebecca?«, fragte er.
»Das interessiert Sie doch nicht wirklich.« Zu Rantzau
nahm die Hände vors Gesicht und schluchzte tief. Dann sah er Christoph aus
glasigen Augen an.
»Wissen Sie, was das für uns bedeutet? Für meine Frau
und meine Tochter? Wir haben das Mädchen aus Seoul adoptiert, als es vier
Monate alt war. Diese rassistischen Vorurteile sind abscheulich. Nur weil sie
anders aussieht. Rebecca ist nicht nur hochbegabt, sondern hier auch heimisch. Sie
ist kulturell überdurchschnittlich interessiert und hat sogar einen
Vorlesewettbewerb in Plattdeutsch gewonnen. Und jetzt so etwas.« Er schwieg
einen Moment, angelte ein blütenweißes Leinentaschentuch aus seiner Hosentasche
und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. »Rebecca stand eine große Zukunft als
Pianistin bevor. Der Täter muss darum gewusst haben, denn er hat genau das
unwiederbringlich zerstört, was ihr Lebensinhalt war.«
Christoph ließ dem Mann ein wenig Zeit, bevor er
fragte: »Haben Sie schon früher Drohungen
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