Tod am Kanal
erhalten?«
»In der Schule gab es mehr oder weniger heftige
Anfeindungen. Unsere Tochter konnte damit ganz gut umgehen. Sie war es von
klein auf gewohnt, ›Schlitzauge‹ genannt zu werden. Aber was sich einige der
Mitschüler herausgenommen haben, sprengte den Rahmen.«
»Sagen Ihnen in diesem Zusammenhang die Namen Nico von
der Hardt oder Jan Harms etwas?«
Zu Rantzau musterte Christoph durchdringend. Dann
sprang er plötzlich auf. »Das sind angesehene Familien. Ich werde mich nicht
hinreißen lassen, an dieser Stelle diffamierende Äußerungen von mir zu geben.«
Er zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf Christoph. »Tun Sie Ihre Arbeit.
Aber gründlich. Guten Tag, meine Herren.«
Er warf die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss und
verließ ohne weitere Worte das Zimmer.
»So ein aufgeblasener Fatzke«, schimpfte Große Jäger.
»Den sollte man an die Leine nehmen und als Suchhund durch den Morast laufen
lassen. Dann hätte er den Hauch einer Ahnung, wie schwer unsere Arbeit ist.«
»Der Mann war aufgebracht. Das kann ich
nachvollziehen. Schließlich hat man seiner Tochter übel mitgespielt.«
»Das ist aber kein Grund, unsachlich zu werden. Allein
diese verdrehte Darstellung des Mordes an Ralf von Dirschau ist eine Frechheit.
Der Sachverhalt war ganz anders, als es dieser aufgeblasene Typ dargestellt
hat. Mensch, ich könnte solchen Leuten stundenlang sonst wo hintreten.«
»Nun beruhige dich, Wilderich. Es ist ein Teil unserer
Arbeit, die Emotionen der Menschen richtig zu beurteilen. Es wird nicht
leichter dadurch, dass du dein überschwappendes westfälisches Temperament
mitkochen lässt.«
Große Jäger zeigte zwei Reihen nikotingelber Zähne.
»Hörte ich gerade, dass wir Westfalen zu Temperamentsausbrüchen neigen?« Er
tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Wie bist du mit diesem Wissen um
das Gemüt meiner Landsleute Hauptkommissar geworden?«
»Ich habe dich als mustergültiges Exemplar der Gattung
›Homo Westfalica‹ angesehen.«
Große Jäger lehnte sich in seinem Stuhl zurück, dass
die Lehne ächzte. Dann zeigte er mit dem Daumen über die Schulter auf Mommsen.
»Im Unterschied zu unserem Kind bin ich wirklich ein charakterstarker
Dynamiker.« Er grinste Christoph an. »Von dir drögem Kieler ganz zu schweigen.«
»Na ja. Wenn bei dir das Gemüt überkocht, kannst du
auf der heißen Flamme Wasser zubereiten.«
»O Mann. Das ist ein gutes Stichwort.« Große Jäger
drehte sich zu Mommsen um. »Was ist das eigentlich für eine Schlamperei hier,
Harm? Wo bleibt der Kaffee.«
Zwei Zigaretten später sah Große Jäger ein wenig
zufriedener aus. »Mich wundert der Auftritt von diesem Großfürsten …«
»Du meinst Professor Freiherr Ehrenberg zu Rantzau«,
unterbrach ihn Christoph.
»Sage ich doch die ganze Zeit. Mich wundert sein
Auftreten überhaupt nicht. Ihr beide seht alles andere als vertrauenerweckend aus.
Deine Bartstoppeln und auch Mommsens erschreckendes Äußeres sind alles andere
als Markenzeichen der Landespolizei.«
»Wie gut, dass wir dich haben«, sagte Christoph
trocken.
»Nun mal sachte. Einer muss ja als Kontrapunkt
auftreten. Sonst kommt euer Erscheinungsbild doch gar nicht zur Geltung. Was
machen wir jetzt? Ich werde erst einmal im Krankenhaus anrufen und nach Hilke
fragen.«
»Bei der Gelegenheit kannst du dich auch nach Maike
Hauffe erkundigen, die von ihrem Vater gestern niedergestreckt wurde.«
»Wo sind wir hier nur gelandet?«, stöhnte der
Oberkommissar. »Wer nicht ermordet wird, liegt verletzt im Krankenhaus. Oder
läuft unrasiert durch die Gegend«, schob er grinsend hinterher und griff zum
Telefonhörer, um ihn sogleich wieder aus der Hand zu legen.
»Ist schon gut«, sagte Mommsen und nannte ihm die
Telefonnummer des Husumer Krankenhauses.
»Wieso weiß das Kind all so was?«, wunderte sich Große
Jäger und wählte die Nummer.
Nach einer Weile legte er den Hörer auf. »Viele Grüße
von Hilke. Sie hat immer noch Schmerzen, wird aber heute nach Hause entlassen.
Die Medizinmänner haben zusätzlich eine leichte Gehirnerschütterung
diagnostiziert.« Große Jäger schüttelte den Kopf. »Können Frauen so etwas
überhaupt bekommen?«
»Chauvi«, sagte Christoph.
»Dieser Bursche wird seiner gerechten Strafe nicht
entgehen. Mir juckt es in den Fingern.« Dabei bog er an den Gelenken, dass es
vernehmlich knackte.
Christoph hatte einen Verdacht. »Kann es sein,
Wilderich, dass du gestern Abend auf eigene Faust unterwegs warst, um
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