Tod am Kanal
Gesellschaft. Sind die nun
repräsentativ für das, was man die oberen Zehntausend nennt?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Ich hoffe aber, dass
das nicht zutrifft. Obwohl es da sicher auch Merkwürdigkeiten genug gibt. Ich
glaube, Axel Springer war fünfmal verheiratet, davon dreimal mit der zuvor
abgelegten Ex-Frau seines besten Freundes.«
»Sicher?«
»Nicht wirklich. Ich lese zu wenig dieser bunten
Blätter im Wartezimmer des Arztes.«
»Du musst ja nicht warten. Dafür sorgt Anna schon«,
grummelte Große Jäger, während Christoph zum Telefon griff.
Er hatte Glück und erreichte Isabelle von der Hardt
auf dem Handy.
»Ich bin in Düsseldorf«, erklärte Nicos Mutter. »Seit
gestern. Dafür gibt es viele Zeugen, wenn es notwendig sein sollte. Tagsüber
war ich in meiner Filiale. Abends bin ich mit jemandem essen gewesen. Es
ist sehr spät geworden. Um ehrlich zu sein … bis zum Frühstück.«
»Wer der jemand ist, werden Sie uns nicht sagen
wollen.«
»Ungern. Der Mann ist eine bekannte Persönlichkeit.
Und er ist verheiratet. Aber das ist sein Problem. Vielleicht erinnert man sich
im Restaurant an uns. Danach gibt es keine Zeugen. Oder glauben Sie, ich dulde
Voyeure?«
»Wissen Sie, was Ihr Sohn gestern Abend gemacht hat?«
»Sollte ich? Nico ist volljährig und für sich selbst
verantwortlich. Weshalb fragen Sie das eigentlich?«
Christoph berichtete ihr von dem Übergriff des
Libanesen auf Hilke Hauck und von Nicos Einschreiten, von dem Überfall auf
Rebecca und dem Unfall auf der Eiderbrücke.
»Sie werden kaum behaupten wollen, dass Nico damit
etwas zu tun hat.«
Zurzeit konnte Christoph ihr nicht widersprechen.
»Das ist eine Welt, mit der ich nichts zu tun haben
möchte«, sagte Große Jäger, nachdem Christoph aufgelegt hatte. »Unterwegs geht
die Frau ganz ungeniert fremd, und zu Hause hält sie sich einen hormonell
hochgezüchteten Rammbock für das private Vergnügen.« Er sah Christoph an. »Und
nun?«
Christoph startete den Motor. »Jetzt fahren wir zu
Wilken Fiete Harms und seinem Sohn Jan. Wir wissen immer noch nicht, wer der
Tote von der Eiderbrücke ist.«
»Habe ich mir gedacht«, murmelte Große Jäger. »Das
lässt dir keine Ruhe. Du klapperst alle bekannten Namen ab, um zu sehen, ob sie
noch am Leben sind.«
Das klang makaber, dachte Christoph, traf aber seine
Absicht genau.
Während sie langsam durch die stillen Straßen St.
Peter-Ordings rollten, bemerkte der Oberkommissar, was Christoph auch
aufgefallen war. »Feichtshofers Aussage zum gefundenen Handy passt zeitlich
nicht. Ina Wiechers wurde erst abends oder nachts ermordet. Da war Rebecca zu
Rantzau mit Sicherheit nicht mehr in der Schule. Wenn wir davon ausgehen, dass
die Wiechers ihr Mobiltelefon beim Kampf mit ihrem Mörder verloren hat, konnte
Feichtshofer es erst zu einer späteren Stunde gefunden haben, als er mit
Sicherheit nicht mehr rund um die Schule auf Rebecca lauerte.«
»Ein zweiter Punkt ist unlogisch. Wenn die Wiechers
ihm nahegelegt hatte, Rebecca nicht mehr zu behelligen, dann muss das vor dem
Mord gewesen sein. Offenbar hatte Feichtshofer Sorge, die Frau könnte ihre
Drohung wahrmachen und Rebeccas Vater und Frau von der Hardt informieren. Ist
er so mutig oder so dumm, nach dieser Warnung weiter dem Mädchen
hinterherzuschleichen? Oder lügt er uns etwas vor? Wenn er Ina Wiechers’ Mörder
ist, hätte er andere Gründe gehabt, nachts auf dem Schulgelände zu sein. Das
würde auch erklären, wie er in den Besitz des Handys gekommen ist.«
»Das ist eine richtige Überlegung, Wilderich. Aber wo
ist das Notebook geblieben?«
Große Jäger zuckte ratlos mit den Schultern.
Das Haus von Vater und Sohn Harms lag friedlich in der
Abendsonne. Die rote Scheibe war inzwischen hinter dem Horizont verschwunden.
Vielleicht konnten noch einige Strandspaziergänger einen letzten Blick über das
Wasser erhaschen und den jedes Mal erneut faszinierenden Anblick der Sonne
genießen, bevor sie dort, wo die Nordsee mit dem Himmel verschmolz, der Sicht
entschwand.
Ihr Klingeln blieb unbeantwortet. Niemand rührte sich.
»Soll ich nachsehen, ob die Leute im Garten sind?«,
überlegte Große Jäger laut, als Christoph die Straße hinabwies.
Aus Richtung Ortsmitte tauchte gemessenen Schrittes
Wilken Harms auf. In jeder Hand hielt er eine gut gefüllte Plastiktüte einer
bekannten Lebensmittelkette.
»Hallo«, sagte der rothaarige Mann. Seine Stimme klang
ein wenig atemlos. »Wollen Sie zu mir?«
»Zu Ihnen und
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