Tod am Kanal
trat bereitwillig zur
Seite. »Kommen Sie rein. Ich hab mir gedacht, dass Sie noch mal reinkieken. Ist
wegen gestern, nä?« Sie waren noch nicht im Hausflur, als er Christoph
ansprach: »Was woll’n Sie trinken? Ihr Kollege – das weiß ich. Der will
bestimmt ‘nen Weizen.«
»Danke, wir möchten beide nicht«, sagte Christoph.
»O! Scheint ja ‘nen büschen ernst zu sein.« Harms
schaffte es, einen bekümmerten Gesichtsausdruck anzunehmen. »Aber Platz kann
ich Ihnen doch anbieten.«
Er zeigte im geräumigen Wohnzimmer auf die
Esszimmermöbel. »Oder sitzen Sie lieber auf’n Sofa?«
Christoph hatte am Esstisch Platz genommen. Den Tisch
mit einer über Eck gelegten weißen Tischdecke zierte eine Blumenvase, aus der
Gerbera herausragten. Über ihren Köpfen pendelte eine balkenähnliche Lampe mit
vier Glühbirnen, die durch geriffeltes gelbes Glas umfasst wurden. Wie bei
früheren Besuchen staunte Christoph erneut über den konservativen
Einrichtungsstil. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn plötzlich die Großmutter um
die Ecke gebogen wäre und gestrahlt hätte: »Habe ich nicht ein gemütliches Heim
für mein Kind geschaffen?«
Bevor Christoph seine erste Frage stellen konnte,
begann Harms zu erzählen. »War ‘nen büschen dümmerich von mir. Gestern. Aber
Jan war so dun gewesen, dass ich ihn nicht der Öffentlichkeit präsentieren
konnte. Ist schon peinlich genug, dass ‘ne Reihe von Leuten hier im Dorf
wissen, wie die Knaben gesoffen haben.«
»Sie hätten uns viel Arbeit erspart, wenn Sie uns nur
einen kleinen Hinweis gegeben hätten.«
»Kann sein. Ich hab ja nicht viel Erfahrung mit der
Polizei. Mit so was komm’ wir sonst nicht in Berührung. So hab ich gedacht,
dass Sie mein’ Jung vielleicht was anhängen wollen wegen der Eskapaden – drüben
an der Brücke.«
»Welche Brücke meinen Sie?«, mischte sich Große Jäger
ein.
Harms sah den Oberkommissar erstaunt an. »Na – die
weiße Brücke, wie wir Alten ganz früher gesagt haben. Ich hatte gehört, dass
man Patrick Wittenbrink nach Tönning gebracht hat. Mensch, der Jung ist erst
zwölf – oder so. Das gibt doch Ärger. Ich kenn sein’ Vater. Der macht Terz. Da
können Sie sicher sein. Da wollt ich Jan raushalten. Das müssen Sie doch
verstehen. Ist ja nicht gut für den Ruf der Restfamilie Harms. Die Leute
zerreißen sich sowieso schon das Muulwerk, weil wir beide hier friedlich ohne
Frau leben. Und dann sind da noch die Neider, die uns das gute Leben nicht
gönnen tun.«
»Wo war Ihr Sohn?«
Harms wies mit dem Zeigefinger gegen die Zimmerdecke.
»Da. Das hätt aber nix gebracht, wenn Sie gestern mit ihm gesprochen hätten.
Der war voll wie ‘ne Strandhaubitze.« Er lächelte nachsichtig, bevor er zu sich
selbst sagte: »War ‘ne schöne Schweinerei, das alles wegzumachen, was der
vollgespuckt hat. Hoffentlich war ihm das ‘ne Lehre.« Er sah Verständnis
suchend die beiden Polizisten an. »Manchmal hast du es nicht leicht als
alleinerziehender Vater.«
»Wie ist Jan nach Hause gekommen?«
»Das weiß er selbst auch nicht mehr. Ich hab ihn
gehört, als er gegen die Haustür gefallen ist. Als ich öffnete, lehnte er sich
gerade gegen den Rahmen und leerte seinen Mageninhalt aus. Ich hab vielleicht
gezittert, dass mich keiner von den Nachbarn sieht, als ich hinterher den
Eingang geschrubbt habe.«
Der Mann ist ein Naturtalent als Schauspieler, dachte
Christoph, als Harms die beiden Beamten mit einem treuen Dackelblick ansah.
»Noch böse?«, fragte Jans Vater.
Christoph fiel es schwer, ernst zu bleiben.
»Wir lassen uns nicht gern an der Nase herumführen«,
sagte Große Jäger.
Harms verlieh seinem Gesicht einen bekümmerten
Ausdruck. »Kommt nicht wieder vor«, versprach er. »Beides nicht. Auch nicht,
dass sich Jan so volllaufen lässt. Na? Wie ist’s? Wollen Sie jetzt ‘nen
Weizen?«
Als Christoph erneut verneinte, vermied er es, dabei
Große Jäger anzusehen. Er war sich nicht sicher, ob der Oberkommissar der
Versuchung widerstehen konnte, obwohl es erst Vormittag war.
Wenig später klingelten sie an der Haustür von
Isabelle von der Hardt. Aus dem Gebäude drang das schrille Geräusch eines
Staubsaugers. Nach dem zweiten Versuch erstarb das Sausen, und eine Frau, sie
mochte Ende fünfzig sein, öffnete ihnen.
»Moin. Ist Frau von der Hardt im Hause?«, fragte
Christoph.
Die Frau schüttelte den Kopf und fuhr sich mit dem
Unterarm über die Stirn. »Die ist nicht da.«
»Und Herr Feichtshofer? Oder Herr von der
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