Tod am Kanal
hätten Sie den
jüngsten Ihrer Schüler fragen können. Das lässt sich ganz einfach
rekonstruieren. Wie kommen Sie bloß auf die Idee, dass wir das nicht
herausfinden? Dann fahren wir jetzt zu Ihrer Wohnung und holen das Gerät.«
»Das geht doch nicht. Meine Frau ist zu Hause.«
»Na und? Glauben Sie im Ernst, dass sich alles unter
den Teppich kehren lässt, was Sie verzapft haben?«, sagte Große Jäger, als
würde er zu einem ungehörigen Schüler sprechen.
Van Oy tat einen tiefen Seufzer. Er öffnete die
Schublade seines Schreibtisches, kramte darin herum und zog drei bedruckte Blätter
hervor, die er Christoph übergab. »Hier. Das ist der Bericht von Ina Wiechers.«
Belustigt tippte sich Große Jäger an die Stirn. »So
etwas Blödes habe ich selten erlebt. Da druckt der Mensch das aus, bevor er es
auf dem Computer löscht. Nun aber zur letzten Frage. Und da wollen wir endlich
die Wahrheit hören. Wo sind Sie nachts gewesen?«
»Ich war wirklich nicht weg«, jammerte der Schulleiter
und blieb trotz weiterer Nachfragen bei dieser Behauptung.
Christoph hatte es dem Oberkommissar überlassen, van
Oy in die Zange zu nehmen, während er – scheinbar geistesabwesend – aus dem
Fenster auf den Pausenhof und den Zugang zum Schulgelände blickte.
Als sie sich vom Direktor des Eidergymnasiums
verabschiedeten, hatte dieser immer noch nicht eingestanden, die Wohnung in der
Nacht, als der junge Libanese auf der Eiderbrücke sterben musste, verlassen zu
haben. Christoph trug Ina Wiechers’ Bericht.
»Warum hast du so hingebungsvoll aus dem Fenster
gestarrt?«, fragte Große Jäger, als sie zum Auto gingen.
»Mir ist aufgefallen, dass man von van Oys Büro aus
den Schulhof und den Eingang zum Schulgelände überblicken kann. Im Unterschied
zu Hauffes Klassenraum. Da sieht man nur die Treene und die feuchte Marsch. Was
ist, wenn Fouad al-Shara um die Schule geschlichen ist, um sich an Rebecca zu
Rantzau heranzumachen? Ich kann mir vorstellen, dass er bei den einheimischen
Mädchen auf Ablehnung gestoßen ist. Für die nötige Distanz haben zudem Leute
wie Nico von der Hardt gesorgt. Wir haben das selbst miterlebt. Vielleicht hat Fouad
geglaubt, bei einem asiatischen Mädchen – er kannte ja nicht die Zusammenhänge
– eher Erfolg zu haben. Und nachdem er auch da einen Korb erhalten hatte,
rächte er sich, indem er Rebecca überfiel und ihre Hand verstümmelte.«
»An diesem Gedanken könnte etwas dran sein«, brummte
Große Jäger zustimmend.
»Und das hat unser Täter mitbekommen und
seinerseits Fouad al-Shara durch Mord bestraft . Es war ja eine besonders
grauenhafte Methode, mit der der Libanese getötet wurde.«
»Und du hast schon einen Verdacht? Warum hättest du
sonst die Überlegungen angestellt, von welchem Platz aus man al-Shara hätte
entdecken können?«
»Kannst du dir vorstellen, was Rebeccas Vater
unternommen hätte, wenn er herausgefunden hätte, dass das Leben seiner Tochter
quasi vor den Augen der Lehrer des Eidergymnasiums zerstört worden ist? Du hast
selbst erlebt, wie sich der Herr Professor in unserem Büro aufgeführt hat.«
»Da ist es denkbar, dass van Oy in seinen
Bestrebungen, noch etwas für die Schule zur retten, ausgerastet ist. Schließlich
hat er für die Mordnacht kein Alibi. Hm! Warum haben wir ihn nicht verhaftet?«
»Weil es im Augenblick nur eine Theorie ist, wir es
aber nicht beweisen können. Und ein Motiv, Ina Wiechers zu töten, hat er auch.
Wir haben noch keinen Nachweis dafür, dass …«
»… er der Frau an die Wäsche wollte«, unterbrach Große
Jäger.
»Du und deine direkte Ausdrucksweise. Also – das haben
wir noch nicht beweisen können. Immerhin hätte er auch einen weiteren Grund.
Hier.« Christoph hielt den Bericht hoch, den der Schulleiter von Ina Wiechers’
Notebook abgezogen hatte. »Nun verrate mir zunächst einmal, wie sich die
Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten von über einhundert Prozent errechnet, mit
der du dich vorhin gerühmt hast?«, fragte Christoph.
»Ist doch ganz einfach«, sagte Große Jäger lachend.
»Es kommt schon mal vor, dass wir einen Falschen verhaften, bevor wir den
Richtigen erwischen. Das ergibt rechnerisch eine Quote von über einhundert.«
»Übrigens scheint Nico von der Hardt endgültig vom
Mordverdacht entlastet zu sein. Fouad al-Shara wurde auf die Schienen gebunden,
als Nico volltrunken war. Und den Mord an Ina Wiechers wird er auch kaum
begangen haben. Es macht keinen Sinn, dass er Handy und Notebook
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