Tod am Kanal
zweifellos das Abschiedsgeschenk des Chefs an
ihn, dachte Christoph, und in Zeitraffer liefen noch einmal die Bilder seiner
Zeit mit Grothe vorüber, die erste Begegnung, die Unterstützung bei schwierigen
Missionen, Grothes unnachahmliche Art der Menschenführung … Das Leben war ein
ständiger Wandlungsprozess und immer im Fluss, aber der Abschied vom Chef ging
Christoph doch näher, als er sich das früher hätte vorstellen können.
»Vielen Dank, Chef«,
sagte er. Bei der Anrede, die alle Husumer Mitarbeiter wie selbstverständlich
verwandten, zuckte es lebhaft um Dr. Starkes Mundwinkel. »Auch ich möchte Ihnen
im Namen aller Kolleginnen und Kollegen für …«
Mit einer
Handbewegung unterbrach Grothe ihn. »Keine weiteren Reden heute, mein Junge.
Mein Freund und Weggefährte«, erneut zeigte die Zigarrenspitze auf den
Landespolizeidirektor, »und seinesgleichen haben schon genug erzählt. Und ab
jetzt muss ich auch noch meine Grete täglich ertragen. Nun bildet euch – hier
in Husum – bloß nicht ein, dass ich euch vermissen werde. Das Einzige, was mir
fehlt, ist die Ruhe, die ich in diesem Zimmer hier während der Dienstzeit
genießen konnte. Und nun … raus an die Front. Sie werden schließlich nicht für
Plauderstündchen vom Innenminister bezahlt, schon gar nicht, wo Ihre Arbeit das
Land jetzt noch ein bisschen mehr kosten wird.«
Grothe wandte sich
ab, wie es immer seine Art gewesen war. Es war still im Zimmer. Niemand sagte
einen Ton. Und der Mann mit dem roten Kopf, der immer ein wenig an einen
angriffslustigen Dithmarscher Stier erinnerte, versuchte vergeblich, seine
Rührung zu verbergen.
Christoph deutete
eine leichte Verbeugung an und verließ auf leisen Sohlen das Büro Grothes. Der
Abschied war ein Spiegel der Art und Weise, wie sie beide in den Jahren der
Zusammenarbeit miteinander umgegangen waren. Vielleicht war es klug, überlegte
Christoph, wenn man den Husumern den Namen von Grothes Nachfolger noch
vorenthielt, denn mit Sicherheit vermochte keiner die menschliche Lücke zu
schließen, die durch die Pensionierung des Chefs entstanden war.
Langsam ging
Christoph die Treppe zur ersten Etage hinunter. Dort befanden sich die Räume
der Kriminalpolizeistelle. Er war irritiert. Die Beförderung hatte ihn völlig
überrascht. Der Chef hatte im Vorhinein keine Andeutung verlauten lassen. So
war Christoph immer noch ein wenig abwesend, als Frau Fehling ihm gratuliert
hatte.
Er betrat Werner
Schöllers Büro. Der Kriminalhauptmeister sah auf. »Das ist eine dankbare
Aufgabe für den Freitagnachmittag«, stöhnte Schöller. »Hast du dich schon
einmal mit dem Innenleben der Abfallwirtschaft beschäftigt? Vielleicht ist das
gar nicht so schwierig, wenn es nicht der Freitagnachmittag wäre. In
Deutschland endet an diesem Werktag das öffentliche Leben zur Mittagsstunde.«
Schöller trank einen
Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. »Ist auch schon wieder kalt.« Dann
drehte er sich zu Christoph um, der auf der anderen Seite des Schreibtischs
Platz genommen hatte.
»Müll ist eine
einfache Sache. Ich stelle die Tonnen am Tage der Abfuhr vor den Gartenzaun.
Meine Frau schiebt sie nach der Leerung wieder zurück. Bleibt mir nur noch,
mich über die hohen Gebühren zu ärgern.« Er griff unter einen Schreibblock, der
vor ihm lag, hob ihn ein paar Zentimeter in die Höhe und ließ ihn wieder
fallen. »Manchmal liest man ja etwas über die Müllabfuhr in Nordfriesland. Aber
wenn ich ehrlich bin … Ich blättere da immer drüber weg.«
»Werner, sei mir
nicht böse, aber ich habe es eilig. Wilderich wartet in Friedrichstadt auf
mich. Wir haben noch einen dringenden Termin.«
»Da hättest du zur
Abfallwirtschaft gehen müssen. Die sind alle schon im Wochenende.« Schöller
lehnte sich zurück, streckte die Arme in die Höhe und verschränkte die Hände
ineinander über dem Kopf. »Der Dreck wird von einem Privatunternehmer
eingesammelt.«
»Den kenne ich. Die
Firma ist in ganz Nordfriesland tätig.«
»Dann wird das Zeug
nach Ahrenshöft gekarrt. Dort ist der zentrale Anlieferungspunkt für unseren
Kreis, zumindest für das Festland. Die Inseln haben Sonderregeln.«
»Was geschieht
dann?«, fragte Christoph ungeduldig.
»Du musst zwischen
Entsorgung und Verwertung unterscheiden«, erklärte Schöller. »Verwertung
bedeutet, dass …«
»Ich kann es mir
vorstellen. Werner, bring es bitte auf den Punkt. Wo finden wir den Müll, der
heute Morgen aus St. Peter-Ording abgeholt
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