Tod am Kanal
fragte
er.
Christoph zeigte auf
den Parkplatz. »Dort drüben, direkt neben dem Marktbrunnen.«
Während der kurzen
Fahrt zum heruntergekommenen Haus am Stadtrand wechselten die beiden Beamten
kein Wort. Als sie ihr Fahrzeug vor dem Gebäude parkten, unterbrach die muntere
Schar der spielenden Kinder ihr Treiben und musterte die Neuankömmlinge mit
neugierigen Augen.
Im Treppenhaus empfing
sie die merkwürdige Geruchsmischung aus Muff und orientalischen Gewürzen, die
Christoph schon bei früheren Besuchen aufgefallen war. Sie klopften an die Tür,
die zur Wohnung al-Sharas führte. Es blieb still. Auch als Große Jäger sein Ohr
gegen das Holz legte, war kein Laut zu vernehmen.
»Ich kann mir nicht
vorstellen, dass die Frau shoppen gegangen ist«, sagte der Oberkommissar. »So langsam bekomme ich ein schlechtes Gefühl. In diesem Fall sind zu viele
Merkwürdigkeiten geschehen.«
»Vielleicht ist
Fouads Mutter im Garten. Dort habe ich sie schon einmal beim Wäscheaufhängen
angetroffen.«
Große Jäger
widersprach nicht, obwohl die Skepsis aus seinem Gesicht nicht gewichen war.
Sie umrundeten das
Haus. Die Kinder flüchteten vor den Polizisten wie ein Fischschwarm und
beobachteten aus sicherer Entfernung, wie die beiden sich ratlos im Garten
umsahen. Ein kleiner Junge mit dunklen Haaren und pechschwarzen Augen zeigte
sich besonders mutig, als Große Jäger ihm zuwinkte. Halb hinter der Hausecke
verborgen, streckte ihm der Knirps die Zunge entgegen. Als der Oberkommissar
mithilfe beider Hände dem Kind »eine lange Nase« zeigte, fing der Bursche an zu
kichern und versuchte, die Geste zu imitieren.
Christoph hatte
seinen Blick an der rückwärtigen Hausfront entlangschweifen lassen. Die
Fenster, von denen er vermutete, dass sie zur Wohnung der al-Sharas gehörten,
waren verschlossen. Zugezogene Vorhänge versperrten den Blick, obwohl man vom
Garten aus nicht viel mehr hätte entdecken können.
»Ich würde gern
wissen, was hinter diesen Fenstern ist«, sagte Große Jäger. Ihm war die
Ungeduld deutlich anzumerken.
»Wir können dort
nicht eindringen. Dafür gibt es keinen Grund.«
»Ich mache mir
Sorgen um die Frau. Teilst du nicht meine Auffassung, dass Gefahr im Verzug
ist?«
In diesem Moment bog
der Mann um die Ecke, der ihnen schon früher in diesem Haus begegnet war. An
jedem Hosenbein hing eines der Kinder, die vorhin vor den Polizisten geflüchtet
waren. Der Rest der Schar trottete wie eine Entenfamilie in sicherer Entfernung
hinter dem Hausbewohner hinterher.
»Was suchen Sie hier
schon wieder?«, fragte der Mann. Seine Stimme klang zornig. »Warum bespitzelt
uns die Polizei?«
»Wir möchten zu Frau
al-Shara«, antwortete Christoph.
»Wenn sie nicht
aufmacht, will sie nicht mit Ihnen reden. So einfach ist das.«
»Nun mal langsam,
Ali Baba«, mischte sich Große Jäger ein. Und als der Mann einen drohenden
Schritt in Richtung der Polizisten machte, trat ihm der Oberkommissar
entschlossen entgegen. Sie standen sich jetzt dicht an dicht gegenüber.
»Wer beleidigt
mich?«, sagte der Bärtige.
»Ich. Wilderich
Große Jäger ben Salat. Und wenn ich einen Schnöf habe, bin ich auch ein
Hatschi.«
Christoph schob den
Oberkommissar zur Seite. »Mein Kollege hatte nicht die Absicht, Sie zu
beleidigen. Er entschuldigt sich dafür in aller Form. Wir möchten mit Frau
al-Shara sprechen.«
»Geht es um Fouad?
Warum soll seine Mutter helfen, ihren Sohn an die Polizei auszuliefern?«
»Es geht um Fouad.
Wir möchten dem jungen Mann nichts anhaben. Es wäre aber wichtig, mit seiner
Mutter zu sprechen.«
»Und Sie wollen
Fouad wirklich nicht verhaften?«
»Sie glauben nicht,
wie gern wir das machen würden«, sagte Große Jäger. »Ich bin mir sicher, dass
auch seine Familie eine solche Lösung für besser halten würde.« Er streckte dem
Mann versöhnlich die Hand hin. Der übersah sie jedoch.
»Kommen Sie«, sagte
er zu Christoph und ignorierte die Anwesenheit des Oberkommissars. »Fouads
Mutter ist in der Wohnung.«
Dann stapfte er
voran. Vor dem Hauseingang sagte er etwas auf Arabisch zu den Kindern, die
daraufhin folgsam vor der Tür zurückblieben.
Der Mann klopfte
energisch gegen die Wohnungstür und rief etwas in seinem kehlig klingenden
Arabisch. Kurz darauf öffnete sich die Tür millimeterweit, und das Gesicht von
Fouads Mutter erschien im Spalt. Im diffusen Licht des dunklen Flures war es
nur undeutlich zu erkennen. Dazu trug sicher auch das tief in die Stirn
heruntergezogene Kopftuch
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