Tod am Laacher See
nichts weiter sagen. Die Nachricht
überrumpelte ihn völlig und weckte umgehend einen alten Groll, der tief in
seiner Seele geschlummert hatte. Sein Bruder, Jörg Wärmland, war vor fünf
Jahren spurlos verschwunden. Er hatte lediglich einen dürftigen Brief
hinterlassen, in dem er Ulli schrieb, dass er es nicht mehr aushalte, dass er
wegmüsse und dass man ihn nicht suchen solle. Und dass es ihm leidtäte. Mehr
nicht.
Er hatte sich nie besonders gut mit Jörg verstanden. Sein Bruder war
sieben Jahre älter und hatte stets sein eigenes Leben geführt. Und sein
plötzliches Verschwinden hatte Wärmlands Zuneigung nicht gerade wachsen lassen.
Aber für Ulli war Jörg immer ein wichtiger Mensch gewesen, jemand, den sie
geliebt und dessen Verschwinden sie zutiefst erschüttert hatte.
»Hat er dir gesagt, wo er die ganzen Jahre war?«, wollte Wärmland
wissen.
Sie atmete einmal tief durch, bevor sie antwortete. »Er war in
Schweden.«
»In Schweden?« Wärmland war tatsächlich verblüfft. Wie alle
Verwandten und Freunde hatte auch er damals darüber spekuliert, wohin sein
Bruder wohl gegangen sein mochte. Aber Schweden hatten weder er noch andere ins
Kalkül gezogen. »Was wollte er denn da? Er hat doch früher immer für Afrika
geschwärmt.«
Wärmlands Schwester wusste keine Antwort darauf.
»Er will mich besuchen«, sagte sie leise. »Nur das hat er gesagt.
Und dass es ihm leidtäte.«
»Ach, tatsächlich? Es tut ihm leid? Na, das ist doch mal was.
Nachdem er dir damals unerträgliche Sorgen aufgelastet hat, weil niemand mit
Sicherheit sagen konnte, ob er nicht vielleicht vorhatte, sich das Leben zu
nehmen, tut es ihm jetzt leid. Dann ist ja alles gut.«
»Du bist sehr zynisch, Jan. Das solltest du nicht. Er konnte damals
sicher nicht anders.«
Wärmland schluckte eine böse Antwort herunter und wartete einen
Augenblick. Er wusste, dass er es seiner Schwester mit seinem Zorn nur schwerer
machen würde. »Wie auch immer, Ulli. Er muss gewusst haben, wie weh er dir
damit tun würde. Und du hast furchtbar gelitten damals. Hast du das schon
vergessen?«
»Wie könnte ich das vergessen?« Er hörte, wie sie um Fassung rang.
»Aber ein Mensch in einer tiefen Lebenskrise macht nun mal nicht immer alles
richtig. Weder für sich selbst noch für seine Umwelt. Er ist dann doch mit sich
selbst nicht im Reinen und sucht einen neuen Weg. Wie hätte Jörg es also damals
für uns oder für mich richtig machen können? Er hatte keine Wahl.«
Wärmland unterdrückte eine neue Welle innerer Empörung, schlug aber
dennoch einen milderen Ton an. »Es ist also noch, wie es immer war: Die kleine
Schwester nimmt den großen Bruder in Schutz. Das wird sich wohl nie ändern.«
»Nein, das wird sich wohl niemals ändern.« Wärmland hörte an ihrem
Tonfall, dass sie lächelte.
»Sag mir Bescheid, wie es weitergeht«, bat er. »Ich bin zwar nur der
kaltherzige kleine Bruder des großen Mistkerls. Aber so ganz egal ist es mir
natürlich nicht.«
»Du bist nicht kaltherzig, Jan«, widersprach Ulli. »Dir ist die
Sache damals nähergegangen, als du zugeben willst. Ich halt dich auf dem
Laufenden, versprochen. Ich kann mir übrigens gut vorstellen, dass er auch dich
sehen will.«
»Wenn er schwedische Haferkekse dabeihat, werde ich es mir
überlegen. Aber im Ernst: Fürs Erste darfst du mich da gern raushalten. Und
wenn er dir nicht eine halbwegs plausible Erklärung geben kann, nehme ich ihn
fest wegen seelischer Grausamkeit.«
Sie beendeten das Gespräch. Wärmland lehnte sich zurück und dachte
nach. Er sah seinen Bruder vor sich, wie dieser vor fünf Jahren ausgesehen und
er ihn in Erinnerung behalten hatte. Er überlegte, wann er das letzte Mal an
Jörg gedacht hatte. Es musste Monate her sein. Tief in seinem Inneren hatte er
seinen Bruder längst aufgegeben und geglaubt, dass er nie zurückkehren würde, dass
er sich vielleicht doch irgendwann das Leben genommen hatte. Jetzt war er
wieder da und wollte in den Schoß der Familie zurückkehren. Wärmland wusste
nicht, wie ihre Mutter damit fertigwerden würde. Er wusste nur, dass die
Chancen gut standen, dass sein Schlaf in dieser Nacht nicht der beste sein
würde.
ZWEI
Heinz Hofmann und Jens Baldrup waren bester Laune. Ihr
erster Tag auf dem Campingplatz in Treis-Karden an der Untermosel hatte sich
bisher prima entwickelt. Mittags waren sie angekommen und hatten mit ihrem
kleinen Wohnwagen einen netten Platz in der Nähe des Flusses zugewiesen
bekommen. Das war ein
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