Tod am Laacher See
fangen!«
Sie verabschiedeten sich, und Wärmland blieb allein in seinem Büro
zurück. Erschöpft ließ er sich in seinen Bürostuhl fallen, zog die obere
Schublade auf und entnahm der Tüte darin gierig zwei Colafläschchen. Doch dann
beherrschte er sich und steckte zunächst nur eines sofort in den Mund, während
er dem anderen eine kurze Lebensverlängerung gewährte und es neben das Telefon
legte. Wenn ich nur nicht so müde wäre, dachte er frustriert. Früher hatte ihm
wenig Schlaf nichts ausgemacht. Lag es wirklich nur am Älterwerden? Er schaute
auf das Colafläschchen. Vielleicht hatte er ja eine Gelatinevergiftung. Sollte
er sich lieber etwas einschränken mit dem Süßkram? Dabei hatte er doch schon
beim Kaffee von Zucker auf Süßstoff umgestellt. Allerdings hatte er irgendwo
gelesen, dass Ratten bei einem Verzehr von fünf Kilogramm Süßstoff im Jahr
Krebs bekamen. Oder hatte da »im Monat« gestanden? Er wusste auch gar nicht, um
welchen Süßstoff es sich handelte und wie dieser zusammengesetzt war. Was
nutzte ihm diese Information also überhaupt? Und würde nicht jeder, der das
Fünfzehnfache seines eigenen Körpergewichts an Süßstoff zu sich nahm,
unweigerlich irgendwann an Krebs erkranken? War so eine Menge überhaupt zu
schaffen? Er selbst müsste dann ja mehr als eine Tonne von dem Zeug vertilgen.
In einem Monat ging das doch gar nicht. Auf ein Jahr bezogen wäre es aber
vielleicht möglich. Wärmland ärgerte sich, dass er sich Fakten wie diese nicht
besser merken konnte. Er fing an, darüber nachzugrübeln, ob er auch in
beruflicher Hinsicht solche Gedächtnislücken hatte. Schließlich wurde ihm das
ganze Grübeln zu viel, und er zwang seine Gedanken zurück zum Fall. Dezidiert
ließ er noch einmal die Bilder von der Mosel Revue passieren und stellte sich
vor, was der alte Mann am Ufer erlebt hatte. Bis zu dem Moment, in dem die
schwarze Gestalt ins Wasser tauchte.
Was hattest du mit den beiden Toten zu schaffen?, rief Wärmland ihr
in Gedanken hinterher, als könnte er den Täter so dazu bringen, dass er sich
ihm offenbarte. Was hat dich so böse gemacht, dass du sie auf derart grausame
Weise sterben lassen musstest? Er lauschte in die Stille seines Büros, als
könne er jeden Moment eine Antwort erhalten.
VIER
Ein Klopfen an der Tür riss Wärmland aus seinen Gedanken.
Reuter kam herein und machte ein Gesicht, als müsse er sich für eine Missetat
entschuldigen. Wärmlands Augenbrauen wanderten erwartungsvoll in die Höhe.
»Sorry, Chef. Ich weiß, ich sollte mich eigentlich längst um die
weiteren Befragungen kümmern. Aber gerade kam der Anruf einer Bäckerei in Nickenich
rein. Die sagen, einer ihrer Kunden habe heute Morgen Brötchen abholen wollen,
sei dann aber nicht gekommen. Und jetzt glauben sie, dem alten Herrn könnte was
zugestoßen sein.«
»Haben sie schon bei ihm zu Hause angerufen?«
»Ja, aber da geht niemand ran. Der Punkt ist der: Der Mann lebt
allein und geht jeden Morgen in aller Herrgottsfrüh mit seinem Dackel
spazieren. Danach kommt er in der Bäckerei vorbei, um sich drei Brötchen
abzuholen. Manchmal fährt er mit seinem Hund auch runter zum Laacher See, aber
trotzdem ist er immer spätestens um neun im Laden. Das geht schon seit Jahren
so, das mit dem Spazierengehen und Brötchenholen. Nur nicht heute. Und das kann
so nicht in Ordnung sein, meinen die aus der Bäckerei.«
»Sie kennen das doch, Kollege Reuter. Diese vielen Möglichkeiten,
warum jemand mal nicht daheim ist und wo er sein könnte, wenn er mal zwei
Stunden überfällig ist.«
»Ja, ich weiß ja, was Sie meinen. Aber die sagen, dieser Herr
Theisen war ein typischer Fall von zuverlässiger Wiederholung. Niemals eine
Ausnahme und keinerlei Abweichungen. Der soll mit seinem Wagen nie weiter
gefahren sein als bis zum See. Nicht mal in die nächste Stadt oder so.
Erledigungen in größerer Entfernung vom Ort hat jemand anders für ihn gemacht.
Die aus der Bäckerei haben bei den Nachbarn in Erfahrung gebracht, dass das
Auto nicht vor dem Haus steht. Deshalb sind sie sich sicher, dass Theisen heute
mit dem Hund zum Laacher See gefahren ist. Die meinen, ganz sicher stünde sein
Wagen noch dort. Was aber bedeuten würde, dass dem Alten was zugestoßen ist.«
»Dann lassen Sie sich Fahrzeugtyp und Kennzeichen geben und schicken
Sie einen Wagen raus. Die sollen sich mal umsehen. So zeigen wir zumindest
unseren guten Willen. Wahrscheinlich hat der alte Mann bloß einen Schulkameraden
getroffen und
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