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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil
Autoren: Anton Gill
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Er hielt ein schlankes Messer hoch. »Wenn ihr mir jetzt Platz machen würdet... «
    In was für einem Kampf? dachten Huy und Merymose gleichzeitig. Es hätte keinen Kampf geben dürfen.
    »Moment mal«, sagte Huy und sah Merymose an. »Ihre Füße.«
    Man brauchte sie nicht erst zu betasten. Die Sohlen waren hart, und an den Rändern der großen und der kleinen Zehen waren Schwielen.
    »Sieh dir die Fußkette an«, sagte Merymose plötzlich. Huy tat es. Sie war aus Kupfer.
    Huy nahm eine der Fackeln und hielt sie näher an die Tote, ohne sich darum zu kümmern, daß Wachs auf die tote Haut tropfte. Das Mädchen trug weiter keinen Schmuck - jetzt wenigstens nicht mehr. Aber er sah, daß die langen Ohrläppchen durchbohrt waren und daß seitlich am Hals eine leichte Schramme zu erkennen war. Weitere dunkle Male waren an den Schultern und an den Seiten zu sehen. Fragend schaute er sich nach dem Arzt um.
    »Blutergüsse natürlich«, sagte der Heiler. »Ich habe dir doch gesagt, es hat einen Kampf gegeben. Genau gesagt, sie wurde verprügelt, die arme Kleine. Wenn ihr mich jetzt arbeiten laßt, solange es noch hell ist, werde ich gewiß bestätigen können, was ich gleich auf den ersten Blick vermutet habe - daß sie nämlich vergewaltigt wurde.« Er schwieg einen Moment lang. »Aber eine Jungfrau war sie nicht, falls euch das interessiert.«
    Huy zog das kleine Ischtar-Amulett aus dem Leinenbeutel an seinem Gürtel. Er sah Merymose an. »Ich verdiene meinen Lohn nicht«, sagte er. »Das hier hätte mir schon früher mehr sagen müssen.«
    Merymose erwiderte den Blick des Schreibers und sagte sich noch einmal, daß es doch sicher keinen Grund gebe, ihm zu mißtrauen.

    Eine Stunde später standen sie in der Dunkelheit. Jetzt hatten sie es zwar mit einem vierten Mord zu tun, aber aus der Serie der anderen Morde fiel er heraus. Oberflächlich gesehen gab es eine gewisse Ähnlichkeit: in dem Einstich unter der Brust und der Art, wie der Leichnam nach der Tat dagelegen hatte. Aber trotz der vornehmen Gesichtszüge und der feinen Gestalt, durch die sie sich zunächst hatten in die Irre führen lassen, hätte dieses Mädchen auf dem Palastgelände wohl nur als untere Dienstbotin Wohnung gefunden.
    »Wahrscheinlicher ist, daß sie eine Hure war«, meinte der Arzt, nachdem er sich Hände und Arme gewaschen und die Leiche wieder eingewickelt hatte. »Sie war nicht sauber genug für ein Harem-Mädchen. Aber es ist schwer vorstellbar, was sie getan haben soll, um ein solches Schicksal zu verdienen.«
    Die sonnenverbrannte Haut und die rauhen Hände und Füße ließen darauf schließen, daß sie arm gewesen war. Die kupferne Fußkette war wahrscheinlich das einzig Wertvolle, was sie besessen hatte, und es war sonderbar, daß man sie ihr nicht gestohlen hatte, denn im Schwarzen Land war alles Metall wertvoll. Aber das kleine Amulett verriet ihnen am meisten über das Mädchen. Den Kult der Göttin Ischtar hatten Siedler aus dem fernen Nordosten, wo die zwei Ströme flössen, ins Land gebracht. Aber diese Siedler waren Höflinge gewesen, die Söhne und Töchter von Königen und Herzogen, denn infolge der Friedensverträge zwischen dem Schwarzen Land und dem Volk im Nordosten wurden viele Ehen zwischen beiden Völkern gestiftet. Der Kult hatte Bestand gehabt, auch nachdem diejenigen, die ihn mitgebracht hatten, ihm abgeschworen und sich den Göttern des Schwarzen Landes unterworfen hatten, in dem sie jetzt lebten. Für die Reichen war der Kult ohnehin nur eine schnell vorübergehende Mode gewesen, aber unter den Armen, die im Gefolge ihrer Herren hergekommen und dann in Ungnade gefallen waren, und unter den halb-blütigen Kindern, die von ihren abergläubischen Müttern im alten Glauben aufgezogen wurden, hatte die kleine Göttin der Liebe und des Krieges noch treue Anhänger. Huys Einschätzung nach konnte deren Anzahl aber nicht mehr allzu groß sein, was die Suche nach der Herkunft des Mädchens gewiß erleichtern würde.
    »Was glaubst du, warum sie ermordet wurde?« fragte er Merymose, als sie vom Haus des Heilens zu Kenamuns Büro gingen.
    »Ich weiß es nicht. Wenn wir wüßten, weshalb sie auf diese Weise getötet wurde, dann wären wir der Wahrheit vielleicht schon näher.«
    »Wird unser Mörder jetzt gewalttätig?«
    »Oder hat das Mädchen sich gewehrt, so daß er die Beherrschung verlor?«
    »Aber warum hat er sich diesmal ein ganz anders geartetes Opfer gesucht? Das Mädchen war arm und besudelt.«
    »Suchst du Sinn im
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