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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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seiner Seite, einer wie Aurelius, in dessen Gedächtnis unzählige Schlachten aufgezeichnet sein mussten und der gewusst hätte, was zu tun wäre.
    Plötzlich ertönte ein Aufheulen vom höchsten Balkon an der Piazza. Grarr war ins gleißende Tageslicht getreten, was niemand seines Rudels je zuvor gesehen hatte. Seine roten Augen stachen aus dem weißen Fell hervor wie frisches Blut. Sein Ruf erklang, scharf und mächtig, er durchschnitt den Lärm der Menschen, drang in die Muskeln und Knochen der Seinen, rührte sie an ihrem uralten Gebot, dem Leitwolf zu gehorchen. Doch es war noch mehr, Grarrs Geheul gab seinen Wölfen Kraft und Mut, brachte sie dazu, wieder zurückzukehren in die Schlacht. Er stellte das Heulen nicht ein, spürte, dass sie ihn brauchten, dass nun viel, wenn nicht alles auf dem Spiel stand. Rückzug war keine Option, Opfer würde er in Kauf nehmen.
    Fast zeitgleich sammelten sich die Wölfe wieder auf dem betonierten Schlachtfeld. Jeder Ruf Grarrs trieb sie weiter voran. Wieder fiel ein Schuss, und alle zuckten, doch niemand wich zurück. Auch dieser Schuss hatte keinen von ihnen getötet. Vespasian sah, wie Laetitia am ersten Jeep hochsprang, das Maul weit geöffnet, und ein Gewehr zwischen ihre Reißzähne bekam, wie sie es herunterzerrte und gleich wieder emporsprang, um das nächste zu erwischen. Ihr Sohn tat es ihr nach, doch sein Mut war bei weitem nicht so groß wie der ihre.
    Laetitias Tat war wie ein Signal für die anderen Wölfe, welche nun von allen Seiten auf die Jeeps losgingen, hechteten und versuchten, auf die Ladeflächen zu gelangen. Vespasiansah dem gebannt zu, bemerkte gar nicht, dass hinter ihm der dritte Jeep gewendet hatte.
    Der Wagen erfasste ihn in der Flanke, doch verletzte er den geschmeidigen jungen Wolf nicht, der sich schnell fing und nun von Raserei getrieben hinter dem Wagen herjagte, aufsprang und mitten unter den Zweibeinern landete. Das Geheul Grarrs in den Ohren und den köstlichen Angstschweiß der Männer in der Nase, schnappte er um sich, geschickt den Gewehren ausweichend, mit denen sie nach ihm schlugen. Und einer nach dem anderen sprang vom Wagen, rannte aus Rimella, floh vor Vespasian. Grarrs Geheul erklang nun immer grandioser, da die Schlacht sich gewendet hatte.
    Als niemand mehr auf dem Wagen war, hüpfte Vespasian herunter, neue Beine suchend, neue Arme und Gewehre. Doch es gab keine mehr. Seine Tat hatte sie vertrieben. Die Auspuffgase der Wagen lagen nur noch wie verglimmender Brand in der Luft, das schneidende Geräusch der Motoren war kaum mehr zu hören.
    »Kommt her, meine Kinder! Kommt zu mir, stolzes Rudel! «, rief Grarr, fast heiser vom Geheul. Alle kamen sie. Aus den besetzten Häusern drangen die für den Ausguck eingeteilten Wölfe, die erschöpften Kämpfer rappelten sich von der Straße auf, alle strebten zur Piazza. Zuerst langsam, dann immer schneller. Der Kampfschweiß lag noch im Fell der Wölfe, der Sieg ließ ihn zum grandiosesten Duft werden.
    »Bei Romulus und Remus, wir haben gesiegt !«, schrie Grarr und stellte seine Vorderpfoten auf das gusseiserne Balkongeländer. Sein weißes Fell strahlte, als sei die Sonne in ihm und nicht am Himmel. So schön, dachte Vespasian, als er bei seinen Brüdern und Schwestern auf der Piazza ankam, war er noch nie gewesen. Und noch niemals hatte ihn ein solches Glücksgefühl durchströmt, Teil dieses Rudels zusein, das so tapfer gekämpft hatte, das so geschlossen füreinander einstand.
    »Selbst die Zweibeiner können uns Wölfen nichts mehr anhaben! Ihre Kugeln treffen uns nicht, ihre Fahrzeuge fügen uns keine Verletzungen zu, ihr Gestank kann uns nicht mehr betäuben. Dies ist der erste Sieg gegen die Zweibeiner, doch es wird nicht der letzte sein. Wir sind auferstanden, meine Wölfe, und niemand wird uns wieder zum Darniederliegen bringen. Dieses Dorf ist nun unser Revier, für jetzt und alle Zeit! Und das, was sie um uns errichten, wird in diesem Augenblick von der Kralle niedergerissen. Die Zweibeiner stellen keine Grenzen mehr auf für uns Wölfe! Dies ist der Beginn eines neuen Zeitalters. Wir, die Kinder der Lupa Romana, haben unseren Platz wieder eingenommen. Gleichgestellt, nicht untertan. Wir werden alles und jeden vernichten, der sich Rimella nähert. Niemand betritt unser Reich! «
    Es war, als stünde ein roter Neumond wie ein Feuerball am Himmel, so markerschütternd heulten die Wölfe Rimellas auf. Bis weit in die Nachbartäler drang ihr Siegesgeheul, jagte die Schafe und

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