Tod & Trüffel
plötzlich über die Felder jagen wie ein junges Häschen.«
»Fang mich!«, rief Niccolò im Überschwang der Freude.
»Fang dich doch selbst!«, murrte Giacomo und machte sich in langsamem Trab auf den Weg, hoch nach Lagiorno entlang einer Allee mit Kirschbäumen. Ihre Früchte standen kurz vor der Reife, sehnten spürbar den Moment herbei, in dem sich die letzten fehlenden Sonnenstrahlen in ihnen fingen, und sie vollends rot und süß würden.
Niccolò war längst auf der Kuppe angekommen und zwischen dem verputzten Mauerwerk der wie ineinandergeschoben wirkenden Häuser verschwunden, doch Giacomo war sich sicher, dass er schon auf ihn warten würde. Und tatsächlich: Immer wieder kam Niccolò angerannt, rief zur Eile auf, lief dann wieder vor, um kurz darauf erneut zurückzukehren und Giacomo anzubellen, zu stupsen oder gar zu zwicken.
Doch der ließ sich nicht hetzen.
Und sie kamen trotzdem an.
Dabei hatte der alte Trüffelhund ab dem alten, weit ausladenden Maronenbaum, den Niccolò einst zu seinem Schlummerort auserkoren hatte, das Tempo noch weiter verlangsamt, wie ein ausrollender Wagen. Ein Geruch war laut und bedrohlich in seinen Fang gedrungen, ein Geruch, den er schon sehr lange nicht mehr wahrgenommen hatte und der viele Erinnerungen weckte, die zu Recht geschlafen hatten.
Es roch nach Wölfen.
Niccolò stand wenige Meter vor ihm, an der Stelle, wo der Boden in einer sanften Welle ins Dorf Rimella abzusinken begann. Und er bewegte sich nicht, keinen Millimeter, wie aus Stein wirkte er, gleich der Cattedrale di San Lorenzo,selbst der Wind schien sein Fell nicht durchfahren zu können.
Ohne ein Wort nahm Giacomo neben ihm Platz und sah sich an, was ihn hatte versteinern lassen. Die Hauptstraße und die fünf seitlich davon abzweigenden Gassen Rimellas lagen vor ihnen, menschenleer, doch voller Leben. Dass die neuen Bewohner keine normalen Wölfe waren, erkannte Giacomo sofort. Er setzte sich nun näher, Fell an Fell, zu Niccolò. Der schwieg noch immer.
Die Wölfe bauten. Vier mächtige Grauröcke zogen, ihre Fänge um die Äste geschlossen, einen umgeknickten Eichenstamm aus dem angrenzenden Wald auf die Hauptstraße, wo bereits zwei weitere lagen. Auch am anderen Ende Rimellas wurde die Zufahrt geschlossen. Da der Wald von dort aus weit entfernt lag, zerrten die Wölfe Dornbüsche herbei. Ein Wolf mit schlohweißen Vorderbeinen schleppte gar einen Ast, an dem sich ein Wespennest befand. Hinter ihm lief in sicherem Abstand ein weiterer Wolf, mit rotem Fleck ums Auge, und überwachte die Barrikadierung. An einem Haus der Piazza löste eine schlankgewachsene, nahezu rote Wolfshündin einen Pflock aus der Erde, der aufgestapeltes Feuerholz sicherte. Elegant wich sie den auf die Straße rollenden Scheiten aus, die ein Fortkommen für Fahrzeuge auch hier unmöglich machten.
»Wo liegt dein Haus?«, fragte Giacomo, als sei es die normalste Frage der Welt. »Ich muss dahin, Witterung aufnehmen, sonst kann ich deine Menschen nicht finden. Es wird eh unheimlich schwer werden, so lange wie sie jetzt schon verschwunden sind.«
»Es ist die Straße in der Mitte, das Haus mit den blauen Fensterläden.«
»Gefällt mir.«
»Was redest du?« Niccolò drehte sich zu Giacomo. »Es liegt mitten in Rimella. Und überall sind Wölfe !«
»Ist mir nicht entgangen.«
»Wir kommen da niemals hin! Sie werden uns töten.«
»Das siehst du völlig falsch, mein kleines Windspiel. Schau genau hin. Sie richten ihr Augenmerk auf einen großen Angreifer. Deshalb blockieren sie die Straßen. Mit Hunden rechnen sie nicht. Wir sollten uns beeilen, bevor sie fertig sind.« Als Niccolò nicht reagierte, trottete Giacomo einfach ohne ihn in Richtung Rimella. »Also, ich mach mich jetzt auf den Weg. Komm mit oder lass es bleiben. Ich bin nicht die ganze Strecke von Alba gekommen, um Wölfen dabei zuzuschauen, wie sie sich breitmachen.«
Er drehte sich nicht um, denn er wusste, dass Niccolò ihm früher oder später folgen würde. Als er den jungen Windhund schließlich hinter sich roch, begann er wieder zu sprechen. »Das Schwierigste wird sein, über die Hauptstraße zu kommen. Wir probieren es nahe dem Kirchturm, dort, wo sein Schatten auf den Beton fällt. Und jetzt ist Schluss mit Reden.«
Giacomo versuchte nicht zu schleichen, denn genau das hätte die Aufmerksamkeit der Wölfe erregt, waren sie doch Meister des lautlosen Gangs. Er ging stattdessen mit dem Wind. Fuhr dieser westlich durch die große Wiese am Fuße
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