Tod & Trüffel
ihnen.«
Grarr trat ein.
Und fand Leere. Keine Placidia, nicht deren Sohn Valentinian,nicht die beiden Zweibeinerwelpen. Noch nicht einmal die Stimme der Mutter, obwohl ihr Licht über dem Tümpel stand. Es war fahl, nur in seinem Inneren schien ein roter Ball zu pochen.
»Mutter?« Er ging näher zu ihrem Platz. Es gab keine Spuren eines Kampfes, kein Blut, keinen aufgewühlten Boden. Sie waren einfach nur weg. Doch ihr Geruch lag noch in der Luft. Grarr witterte Angst. Aber er konnte nicht erkennen, woher sie stammte.
»Mutter! Sprich mit mir!« Er trat an ihren Tümpel. »Bitte treibe kein Spiel mit mir! Was bedeutet das alles?«
Der rote Lichtball wurde größer, drohte zu zerbersten. Doch immer noch kein Wort von ihr.
Grarr beugte sich tief über das Wasser, bis seine Schnauze die Oberfläche berührte. Er tauchte seine Zunge hinein, leckte so zärtlich, wie Mütter das Fell ihrer Welpen pflegten.
Das Wasser war heiß. Es schmerzte.
Er richtete sich wieder auf. »Es ist ein Segen, dass sie nicht mehr hier sind, hörst du? Die Kralle will ihren Tod. Und wir beide wollen doch ihr Leben. Geht es ihnen gut? Weißt du, wo sie sind?«
Die Antwort kam zeitgleich mit dem Erglühen des Rots. Die Höhle erzitterte, als der Stein ein einziges Wort gebahr.
VERRÄTER.
Grarr spürte, wie das Wort seine Knochen angriff, wie sie Gefahr liefen zu zerbröseln, wie die Vibration sein Herz umfing und es aus dem Rhythmus brachte, wie der Hass ihn zu zermalmen drohte.
Wieder draußen berichtete er der Kralle.
Sie sorgte dafür, dass sein Fell nicht mehr länger blütenweiß war.
Die Kralle liebte es nun rot gesprenkelt.
Grarr schrie nicht. Er ließ sie gewähren. Sie brauchtenihn noch, oder? Das musste ihnen selbst jetzt in ihrer Raserei bewusst sein!
Mit jedem Prankenhieb glaubte Grarr weniger daran.
»Niccolò!«
Es war merkwürdig, dass er seinen Namen durch all den Lärm hören und sogar die Stimme der Ruferin erkennen konnte. Es war Canini. Um zu sehen, wo sie war, sprang Niccolò auf einen Wagen, der in der Nähe eines Lagerfeuers stand. Er machte die auf und ab flatternden Spanielohren Caninis aus. Ein wenig wirkte es, als versuche sie abzuheben und zu fliegen. Direkt hinter ihr lief Isabella, deren Pupillen wie eingefangene Fliegen hin und her rasten.
Sie sah ihn. » Windspiel! « Die Biologin rannte auf ihn zu, bahnte sich, fremde Füße und auf dem Boden stehendes Abendessen missachtend, einen Weg, und schloss Niccolò fest in die Arme. »Es tut mir leid«, flüsterte sie in sein Ohr. »Ich weiß selber nicht, was mit mir los war. Plötzlich war da dieser ... ach, vergiss es einfach, ja?«
Sie setzte ihn wieder vor sich ab und erzählte begeistert von der Wolfsrettung, die ihn bestimmt glücklich mache. Und dass alle Zeitungen sie wegen des betenden Hundes anriefen, dass sie sicher sei, Rimella für die Wölfe retten zu können. Sie schloss ihn wieder in die Arme.
»Hab ich es dir nicht gesagt?«, fragte Canini. »Aber auf mich hörst du ja nicht. Dabei ... «
»Hast du eigentlich gehört, was sie gesagt hat? Wie kann sie nur so verblendet sein?«
»Ein bisschen was hab ich mitbekommen!«, sagte die Hündin stolz. »Ich kann ja verstehen, dass du die Wölfe weghaben willst, um in dein Dorf zurückkehren zu können. Aber sie sieht das alles aus einer anderen Perspektive. «
»Das ist doch schon lange keine Frage der Perspektivemehr! Ihre geliebten Wölfe haben Beppo und Knorpel getötet.«
Isabella hob ihn hoch und machte sich auf den Weg zurück zur Beobachtungsstelle, die sich ein gutes Stück ab vom Trubel befand.
»Du kennst die Menschen doch«, rief Canini, die neben ihnen herlief. »Sie werden erst dann hellhörig, wenn jemand ihrer Art getötet wird.«
Es gab eine Menschenleiche, dachte Niccolò. Er wusste zwar nicht, wie die Wölfe mit dem Tod seines Herrn zusammenhingen, aber irgendwie mussten sie damit zu tun haben. Es konnte alles ändern. Mit den Menschen an seiner Seite wäre der Sieg sicher.
Er musste in Isabellas Gedanken einsteigen. Jetzt! Es war keine Zeit, um auf einen Traum zu warten. Vielleicht ging es auch so. Es musste einfach klappen. Er würde ihr die Bilder der Leiche und den Platz, wo sie zu finden war, einimpfen.
Doch der Weg zu ihren Gedanken war versperrt.
Wie getrocknetes Blut lag eine Schicht darum. Niccolò fühlte, dass sie sich erst lösen würde, wenn alles darunter verheilt war. Hier konnte er nichts ausrichten. Er leckte Isabella zärtlich durchs Gesicht
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