Tod an der Ruhr
oder nach ihrem Hintern zu grapschen.«
FÜNFZEHN
Die beiden Huren trippelten hastig durch die Heide davon. Immer wieder sahen sie sich nach dem Sterkrader Polizeidiener um, der sie bis zur Emscher, dem Grenzfluss zwischen der Bürgermeisterei Holten und der Bürgermeisterei Oberhausen begleitet hatte.
Auf der Emscherbrücke am Schloss Oberhausen hatte Martin Grottkamp den Frauen noch einmal energisch ins Gewissen geredet. Danach war er sich ganz sicher, dass sie sich in Sterkrade nicht wieder blicken lassen würden. Trotzdem folgte er den beiden Weibsbildern noch ein paar Minuten, ließ den Abstand allmählich größer werden und blieb am Rande der Lipper Heide schließlich stehen.
Die Frauen hasteten so ungestüm über den schmalen Pfad durch das rotbraune Heidekraut, als fürchteten sie immer noch, Grottkamp könnte es sich anders überlegen, sie wieder einfangen und zum Gericht nach Duisburg schleppen. Die Sorge war nicht ganz unbegründet. Martin Grottkamp hatte kein gutes Gefühl dabei, die beiden Frauenzimmer entkommen zu lassen. Sicher, sie waren zum ersten Mal in das Netz seiner polizeilichen Überprüfungen geraten. Aber es gab keinen Zweifel daran, dass diese Weiber nicht nach Sterkrade gekommen waren, um hier eine anständige Arbeit zu finden. Und versehentlich hatten die beiden ihre Gesindebücher gewiss nicht verloren. Sie trieben Unzucht und lebten von ihrem Sündenlohn. Sie waren Huren.
Doch er hatte ihnen am Vorabend im Pitterkasten einen Handel angeboten: ihre Freiheit gegen Auskünfte über ihr Gewerbe. Und er hatte von den Frauen zweifellos einiges erfahren, was ihm bei seiner polizeilichen Arbeit von Nutzen sein konnte. Jetzt musste er sie laufen lassen.
In der Ferne verschmolzen die Frauengestalten mehr und mehr mit der kargen Heidelandschaft. Grottkamp sah noch, wie die beiden Weibsbilder an einer Schafherde vorbeieilten, dann verschwanden sie zwischen knorrigen Kiefern und dürren Sträuchern.
Eilig wie sie waren, würden sie kaum mehr als zwanzig Minuten bis zum Oberhausener Bahnhof brauchen. Vielleicht hatten sie die Absicht, sich dort in einen Personenzug der Köln-Mindener Eisenbahn zu setzen. Ihr Geld könnte noch für Billetts bis Duisburg oder gar bis Düsseldorf reichen. Vielleicht würden sie sich aber auch eine Weile in der Gegend um den Bahnhof herumtreiben, in diesem betriebsamen Viertel, das in nur wenigen Jahren aus dem Heideboden gewachsen war.
Grottkamp mochte diesen hektischen Ort mit dem Namen Oberhausen nicht, diese unkontrollierte Mischung aus Bahngebäuden und Schienensträngen, aus Hütten, Zechen und Fabriken, aus Schänken und Gasthöfen, aus eilig hochgezogenen Wohn- und Verwaltungsgebäuden. Ein seltsames Gebilde ist dieses Oberhausen, dachte er, während er zurück in Richtung Emscher ging. Sein Sterkrade war über Jahrhunderte rings um das Kloster gewachsen. Einen Ort mit dem Namen Oberhausen dagegen hatte es noch vor zwanzig Jahren nicht gegeben.
Als die Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft anno 1847 eine Bahnstation mitten in die öde Lipper Heide baute, suchte sie einen Namen für den neuen Bahnhof. Und weil es da dieses Schloss Oberhausen gab, knapp eine halbe Fußstunde entfernt an den Ufern der Emscher gelegen, wurde die einsame Station inmitten der Heide »Bahnhof Oberhausen an der Ruhr« genannt.
Die neue Eisenbahnstation zog Industriebetriebe an, und die Aussicht auf Arbeit zog Menschen an. Nur eineinhalb Jahrzehnte nach dem Bau des Bahnhofs war in seinem Schatten ein stattlicher Ort herangewachsen. Aus ihm und einigen umliegenden Dörfchen war 1862 die Bürgermeisterei Oberhausen geworden.
Hatte Carl Overberg es nicht einen Witz der Geschichte genannt, dass Sterkrade immer noch ein Teil der Gesamtgemeinde Holten war? Nun, wenn es ein Witz war, dann war es ein schlechter. Grottkamp jedenfalls konnte nicht darüber lachen, dass sein ehrwürdiges, altes Heimatdorf bloß ein Anhängsel Holtens war, während dieser aus dem Nichts gestampfte Heideort sich schon seit vier Jahren als Bürgermeisterei selbst verwalten durfte.
Für einen guten Witz dagegen hielt Grottkamp es, dass das Schloss Oberhausen nicht einmal zu Oberhausen gehörte. Das uralte Wasserschloss Overhus, das in seiner wechselvollen Geschichte vielen Herren gehört hatte, zuletzt den Grafen von Westerholt-Gysenberg, die jedoch längst vor dem Lärm und dem Schmutz der immer näher rückenden Industrie geflüchtet waren, lag in den Auen nördlich der Emscher, also in der
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