Tod Auf Dem Jakobsweg
kämen höchstens bei sehr hartem Winterwetter in die Nähe der Menschen.
Am nächsten, dem heutigen Morgen war Obanos auf dem Weg zurück zu seinem Auto — er hatte sehr gehofft, es unversehrt vorzufinden — noch einmal allein dorthin gegangen. Im Morgenlicht wirkte der Abhang feindlicher, das Gestein kantiger. Dass ein hart aufschlagender Schädel daran brechen konnte, war kaum zu bezweifeln. Auch die weggerutschte Kante des Pfades machte einen Unfall nach langem Regen plausibel.
Die westfälischen Damen hatten ihre Teller geleert, ihren Kaffee getrunken und die vorgeführten Einkäufe wieder in den Tüten verstaut. Obanos war immer wieder verblüfft darüber, was sich Menschen in der Fremde andrehen ließen. Obwohl, ein mit winzigen Muscheln aus Messing bestückter Rosenkranz und ein heiliger Santiago in einer Schneekugel — das hatte was. Er dachte an die gläserne Freiheitsstatue, die er aus New York mitgebracht hatte, an die klobigen mit Weintrauben und -ranken gezierten Gläser aus Stuttgart und übte sich für eine halbe Minute in Demut.
Der junge Priester setzte sich an die Spitze seiner unermüdlich schwatzenden Damen und zog mit ihnen davon. Nur wenige Tische wurden wieder besetzt, es war kühl geworden. Obanos mochte keine Hotelzimmer und beschloss, noch ein wenig zu bleiben. Er verspürte Lust auf ein Bier und eine Pizza Salami, echtes Touristenessen. Nachdem der Kellner vergeblich den fangfrischen Fisch angepriesen hatte, akzeptierte er die Bestellung dieser kulinarischen Todsünde mit verächtlicher Miene, und Obanos zog sich wieder hinter seinen akustischen Vorhang zurück.
Die Señoras Peheim und Instein hatten ihn erreicht, als er gerade sein Hotelzimmer betrete hatte — für die morgen eintreffende Wandergruppe waren Zimmer in einem etwas nobleren Haus nur einen Block weiter reserviert — und begann seinen Koffer auszupacken.
Er hatte nicht gefragt, woher sie seine Handynummer hatten, Señora Peheim war eine Journalistin mit neugierigen Augen und einer sommersprossig-vorwitzigen Nase, sie würde sich zu verschaffen wissen, was sie brauchte.
Wäre er nicht zuvor in dem hostal gewesen und schon mit einem Teil der Geschichte vertraut, hätte er lange gebraucht, um zu verstehen. Nina Instein hatte den Anfang gemacht, jedoch aufgeregt und konfus den Apparat schnell weitergereicht. Er möge ihnen nachsehen, hatte Señora Peheim gesagt, wenn sie seinen Urlaub störten, er sei der Einzige, von dem sie hoffen könnten, dass er sie nicht für verrückt oder hysterisch halte. Aber es gebe schon einen Toten und einen Schwerverletzten, jetzt sei ein Kind in Gefahr, in Lebensgefahr womöglich. Da hatte er aufgehört zu schmunzeln und zugehört. Als sie begann, das hostal und den Unfall Dietrich Webers zu, schildern, hatte er sie unterbrochen. Er sei gestern selbst dort gewesen und habe mit Mira und Julián gesprochen.
«Ich weiß, dass Sie nach dem Toten und seiner Familie gefragt haben. Warum? Was hat er mit dem Unfall — bleiben wir vorerst bei dieser Version — in den Pyrenäen zu tun?»
Einen Moment war es still am anderen Ende der Leitung. «Wenn Sie dort waren», sagte sie dann, «müssen Sie einen ähnlichen Verdacht wie wir haben, das macht alles einfacher. Dietrich Weber hat vor fast zwanzig Jahren den Namen seiner Mutter angenommen, der Name seines Vaters und sein Taufname ist Instein. Er ist Ninas Halbbruder. Verstehen Sie nun? Es wäre doch ein eigenartiger Zufall, wenn er und Ninas Lebensgefährte innerhalb so kurzer Zeit Opfer eines lebensgefährlichen und eines tödlichen Unfalls werden. Mir bleibt jetzt wenig Zeit, Inspektor, wir sind am Ziel unserer heutigen Wanderung und müssen bald zum Bus, der uns zum Hotel in Portomarín bringt. Wir sitzen abseits der Gruppe auf einem Hügel über O Cebreiro, wer weiß, ob Uns jemand zuhört.»
«Haben Sie mit Senor Seifert gesprochen?»
«Das will Nina auf keinen Fall. Da es um ihre Familie geht, respektiere ich das. Es ist tatsächlich möglich, dass jemand aus unserer Gruppe die Sache verwickelt ist.»
«Ihr Misstrauen in Ehren, Senora Peheim, das kann manchmal von Vorteil sein. Aber Sie vergessen etwas. Dietrich Weber ist, mehr als eine Woche bevor Sie losgewandert sind, gestorben.»
«Das haben wir nicht vergessen, Inspektor Obanos. Möglicherweise war einer von uns früher hier. Es sind nicht alle mit dem Flugzeug gekommen. Es war sogar möglich, inzwischen nach Deutschland zurückzukehren und dann ganz harmlos diese Gruppenreise
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