Tod Auf Dem Jakobsweg
Schlimmeres verhindert? Jetzt begann sie endgültig Gespenster zu sehen.
Welchen Grund sollte ein biederer Sparkassenfilialleiter haben, einen nicht minder biederen Ingenieur im Vorruhestand in einen tosenden Gebirgsbach zu stoßen? Und warum hätte Enno dann geschwiegen?
Kapitel 7
Beim Abendessen fehlte Enno. Es gehe ihm gut, versicherte Jakob, nur zöge er es heute vor, auf seinem Zimmer zu essen. Sein Gesicht, gewöhnlich freundlich und gelassen, wirkte verschlossen. «Wir sind alle froh», fügte er hinzu, «dass Fritz zur rechten Zeit zur Stelle war. Es gibt eine gute Nachricht.» Sein Blick heftete sich unübersehbar auf Selma. «Nina hat sich bei Inspektor Obanos gemeldet, und er hat sich mit ihr im Kommissariat oder wie das hier heißt unterhalten.»
«Dann ist sie noch in Burgos?», rief Rita. Es klang weder freundlich noch besorgt.
«Ja, sie hat nur das Hotel gewechselt. Warum auch immer. Und zu eurer Beruhigung: Sie hat eben auch mich angerufen und sich für ihr wortloses Verschwinden entschuldigt. Vielleicht schließt sie sich uns bald wieder an, denn die allerbeste Nachricht ist, dass es Benedikt besserzugehen scheint. Genaueres weiß ich nicht, aber das ist doch schon was. Wenn es mit ihm weiter bergauf geht, macht sie den Rest der Tour mit uns.»
«Also, ich weiß nicht.» Helene spitzte missbilligend die Lippen. «Wenn Sven hier im Krankenhaus läge, bekämen mich keine zehn Pferde von seiner Seite und aus der Stadt.»
Als Selma bestätigend nickte und beifällig auf den Tisch klopfte, sagte Leo: «Der Platz ist besetzt, Helene. An Benedikts Bett sitzt seine Mutter und weicht keinen Zentimeter. Nina kennt Benedikt besser als wir. Sie haben die Reise gemeinsam geplant und sich sehr darauf gefreut. Es wird in seinem Sinn sein, wenn wenigstens sie bis Santiago kommt und — na ja, dort in der Kathedrale für seine Gesundheit bittet. Ich meine: betet.»
Sie wusste nicht, warum sie Nina verteidigte, eigentlich teilte sie Helenes Meinung.
«Das finde ich auch», sagte Felix. «Der gute alte Jakobus und seine Getreuen helfen immer. Denkt nur an die Hühner-Geschichte von Calzada. Ein voller Erfolg.»
Rita unterdrückte ein glucksendes Lachen, Eva warf Felix einen ärgerlichen Blick zu.
«Das ist überaus geschmacklos, Felix», sagte sie. «Um Witze darüber zu machen, ist Benedikt zu krank.»
Erst beim Hauptgang besserte sich die Stimmung, und alle fanden zum üblichen Geplauder und Austausch des am Tag Erlebten zurück. Sven und Caro ereiferten sich noch einmal in einer Meinungsverschiedenheit. Es ging um El Cid, den legendären spanischen Nationalhelden, der mit seiner Gattin Doña Jimena in der Kathedrale begraben lag. Burgos war stolz auf den berühmten Sohn der Stadt, seine Bürger hatten vor fünfzig Jahren auf der nach ihm benannten Plaza ein seinem Beruf entsprechend kriegerisches Reiterdenkmal errichtet. Da saß der eiserne Ritter mit erhobenem Schwert im Sattel und blickte über den Fluss nach Süden, wo es vor einem knappen Jahrtausend gegolten hatte, die Mauren zu schlagen und von der Iberischen Halbinsel zu vertreiben.
Sven schwärmte von dem Mut und den Verdiensten des Ritters Rodrigo Diaz de Vivar, der fast nur unter seinem Ehrennamen bekannt war.
«Ehrennamen, genau», triumphierte Caro. «Den hat er von wem bekommen? Von den Mauren, nach dem arabischen Wort sayyid für Herr, daraus haben die Spanier später Cid gemacht. Der edle kastilische Ritter hat nämlich gern mal die Seiten gewechselt. Komischer Begriff von Ehre findest du nicht? Ich nenne das opportunistische Kriegsgewinnlerei.»
Jakob sah sich besorgt nach dem Kellner um und hoffte, der verstehe kein Deutsch. Die Debatte um die strittigen Details des Seitenwechsels und warum der spanische König El Cid trotzdem hoch geehrt und immens reich gemacht hatte, endete mit dem Servieren des Desserts. Diesmal gab es Vanilleeis mit frischen Pfirsichen, und Jakob nutzte den Moment der Ruhe, um die Pläne für den nächsten Tag zu besprechen. Vorher hatte er Leo einen verstohlen fragenden Blick zugeworfen. Sie hatte genauso verstohlen den Kopf geschüttelt. Die belanglosen Ergebnisse ihrer Internet-Recherche hatten bis morgen Zeit.
Ruth Siemsen stellte fest, dass sie keine Freunde hatte. Es gab Bekannte, auch sogenannte «alte Freunde», doch niemanden, den sie mitten in der Nacht anrufen konnte. Und daran, so hieß es doch, beweise sich echte Freundschaft. Die Erkenntnis schien ihr banal, es war nichts Neues,
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