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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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Schuhe an und schraubten den Messinghelm zu. Er schloss seinen Vater an den Beatmungsschlauch an (samt Seil und Telefonkabel) und kontrollierte die Verbindung. Der Taucher schritt die Stufen ins Wasser hinunter, während Martin ihm die Luft per Hand zupumpte. Wenn er nicht aufpasste und zu langsam oder zu schnell war, konnte der Vater nicht richtig atmen und rügte ihn durch die uralte Sprechverbindung. Eine Stunde später tauchte er wieder auf.
    Einmal wurde sein Vater, als gerade an der tiefsten Stelle gearbeitet wurde, zur Donau abkommandiert. Man beförderte ihn im Tauchanzug auf der Ladefläche eines Lastwagens. Martin saß neben ihm. Ein Kollege stand auf dem rostigen Deck eines rumänischen Güterschiffes und zeigte auf einen großen runden Gegenstand, eingeklemmt zwischen Ponton und Schiffsrumpf. Er hämmerte mit dem Bootshaken darauf ein, um ihn endlich los zu werden. Der Vater erschrak und schrie den Mann an, es sofort sein zu lassen. Er ließ sich ein Fernrohr reichen und erblickte eine große zinkfarbene Seemine mit Messingfühlern und französischen Produktionsschildern. Sie war etwa anderthalb Meter groß.
    Der Vater rief in der Dienststelle der Grenzwache an. Ein Militärboot kam, und der Kommandant bestätigte seinen Verdacht. Die Besatzung wurde an Land geschickt. Ein sowjetisches Minensuchboot mit Schnellfeuerkanonen kam schließlich zum Einsatz. Die Soldaten banden die Mine an einem dünnen Kunststoffseil fest und zogen sie langsam ins ruhige Wasser. Irgendwo auf einem Seitenarm der Donau kam das kleine Schiff schließlich zum Stillstand. Der Artillerist zielte. Ein ohrenbetäubender Knall erfolgte. Die Mine explodierte. Die Wassersäule schoss angeblich über neunzig Meter hoch. Martin hielt sich die ganze Zeit über krampfhaft an Vaters Metallhand fest.
    Je mehr Geschichten er Mona erzählte, desto besser verstanden sie einander. Sie lud ihn öfter zu sich nach Hause ein. Sie zogen alle Vorhänge im Zimmer zu und tuschelten den ganzen Nachmittag lang. Die stickige Luft wurde immer wärmer. Mona sah darin wie eine verschwitzte Puppe aus. Ihre Augen begannen zu leuchten, undsie lachte immerzu. Martin saß neben ihr auf dem Teppich und berührte sie beiläufig. Wilde Fangspiele endeten unter dem Bett, weiche aufgetürmte Burgen erlagen hitzigen Attacken. In diesem Zimmer machte er die schönsten Entdeckungen und erlebte die unglaublichsten Abenteuer. Bei Mona zählte er schon bald zur Familie. Die Mutter tat ihm unauffällig kleine Gefallen: Sie machte seine Lieblingslimonade oder legte ein Buch, von dem er gesagt hatte, dass er es gerne lesen würde, auf den Tisch. Er verstand nicht, wieso ihre Eltern alles tolerierten und sie sogar alleine ließen, ohne viel nachzufragen. Er selbst lebte mit der Befürchtung, zu weit zu gehen, und er redete sich unentwegt ein, er müsse eine Gelegenheit zum Rückzug finden. Zugleich hoffte er, es würde ewig so weitergehen. Am Ende dieses Sommers hatte ihre Haut die Farbe von Milchkaffee angenommen.
    Martin trug am letzten warmen Tag seine roten Boxershorts, deren Gummi sich deutlich in die Haut unter dem Nabel eingrub. Mona stellte sich im Badeanzug neben ihn. Sie blickte ihm in die Augen, und er bemerkte, wie sie tief Luft holte und dann zur Seite schaute. Irgendwie hoffte er, sie sich vom Leib halten zu können, doch sie schmiegte sich an ihn. Die Erfüllung all seiner Träume war zum Greifen nahe. Er fuhr mit seiner Handfläche die Wölbung ihres Rückens nach. Ihre hervorstehenden Schulterblätter sahen wie eingezogene Flügel aus. In seiner Brust pulsierte eine noch unbekannte Lebenskraft. Er fühlte, dass seine Liebe und sein Verlangen kein unschuldiges Spiel mehr waren und sie langsam zu etwas Verbotenem wurden. Er wollte ihr ewig so nah sein und ihre Mädchenhaut berühren. Er selbst wusste nicht, ob er schön oder hässlich war, ob er sie anzog oder eher abstieß. Er versuchte sich allerlei mit ihr vorzustellen, von dem er gehört hatte, doch es funktionierte nicht.
    »Mein Vater ist Kulturattaché der Botschaft in London geworden«, sagte sie wie eine Erwachsene.
    Er wusste nicht, was das bedeutete, ahnte jedoch, dass er sie bald nicht mehr sehen würde. Dieses schemenhafte Bild, das er nun vonMona hatte, würde wohl auch das einzige bleiben, das ihn in den nächsten Jahren begleiten würde.
    »Wie lange bleibst du weg?«, fragte er, doch in Wirklichkeit wollte er es gar nicht hören. Er konnte nicht begreifen, wie jemand an einen Ort fernab der Donau

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