Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
Vom Netzwerk:
Arbeiten oder publizierten ausländische Studien ohne Quellenangabe unter ihrem Namen – und nichts geschah. Niemand räumte Martin auch nur die geringste Chance ein.
    Das miserable Honorar bekam er nie.
    Er schrieb über jenes Unrecht einen Artikel für eine Zeitung, beschrieb die Situation und nannte den Schuldigen beim Namen. Die Redaktion sah von der Veröffentlichung dieses Beitrags ab – es sei schließlich ein Randthema und er sei in einer Fachzeitschrift viel besser aufgehoben. Sie vermittelten ihn weiter, doch die besagte Fachzeitschrift gab es seit einem Jahr nicht mehr, man hatte ihr die Subventionen gekürzt.
    Martins Traum war wahr geworden – er war Übersetzer, ein Vermittler zwischen noch unbekannten Geschichten und deren neuen Lesern. Doch er hatte reichlich wenig davon. Der Zorn breitete sich wie ein Geschwür in ihm aus. Er ließ sich überreden und übersetzte in den folgenden drei Jahren die Essays von Roberto Mussapi,
Suite Française
von Irène Némirovsky und verfasste auch eine neue Übersetzung des
Donaupiloten
von Jules Verne, natürlich für ausschließlich symbolische Honorare.
    Für einen 200 Seiten umfassenden Roman bekam er etwa zwei Monatsmieten bezahlt. Hätte er sich einen Stundenlohn errechnet, würde er deutlich schlechter dastehen, als die Arbeiter, die vor seinem Fenster Kabel verlegten. Ihm war klar, dass es in seinem Land so bleiben würde, dass sich nichts ändern würde, so wie Flüsse nun mal ins Meer fließen. Er wollte das Ganze schon mehrmals aufgeben, doch blieb er immer wieder zu Hause am Schreibtisch sitzen. Immeröfter litt er unter Konzentrationsschwächen. Sobald er etwas fertig übersetzt hatte, war es ihm selbst nicht gut genug. Obwohl er alles präzise überprüfte, konnte er nicht verhindern, dass ihm ganze Sätze und Absätze abhandenkamen. Er kauerte auf seinem Stuhl und starrte auf den Monitor. Nach einigen vergeblichen Versuchen, sein Tagespensum dennoch einzuhalten, gab er schließlich auf. Er konnte keinen einzigen Buchstaben mehr sehen. Professor Rovan pflegte einst ironisch zu behaupten, der Schutzpatron der Übersetzer hieße Sacher-Masoch.
    Martins Leben fühlte sich wie ein großes Provisorium an. Wegen der Krise wurden die Verlagsbudgets zusammengestrichen, keine Löhne mehr an Mitarbeiter ausbezahlt, Zahlungen an Externe eingestellt. Drei Literaturverlage gingen in Konkurs, andere verlangten von ihren Übersetzern, auf Honorare ganz zu verzichten, um ein Werk überhaupt noch herausgeben zu können. Anstatt Literatur übersetzte Martin einige Monate lang Fernsehserien:
Big Love
,
Dexter
,
Mad Men
. Bei dieser anstrengenden und langwierigen Arbeit sah er alles auf einem kleinen Fernsehmonitor, er war teilnahmslos, alles schien ihm wie eine bewegliche Tapete. Für eine Staffel bekam er fast so viel wie für einen Roman, dennoch wollte er damit nicht weitermachen.
    Von einer Änderung dieser Umstände konnte er nur träumen wie von einem Klimaumschwung. Zum ersten Mal in seinem Leben kam ihm Wodka nahrhafter als normales Essen vor. Er verlor fast jeglichen Willen, etwas dagegen zu unternehmen. Wenn er ein Buch fertiggelesen hatte, wusste er schon am nächsten Tag nicht mehr, wovon es eigentlich handelte. Er verfiel in Apathie, wie ein Schriftsteller, der nicht mehr schreibt.
    Seine Altersgenossen hatten inzwischen geheiratet, bekamen Kinder und normale Jobs. Aus studierten Übersetzern wurden Marketingleute, Programmierer, Businessdolmetscher oder Reiseführer. Ein befreundeter Studienkollege, mit dem er noch in Kontakt stand, schlug ihm mehrmals vor, das literarische Übersetzen an den Nagelzu hängen und sich beim amerikanischen Reiseveranstalter ADC zu bewerben. Die Firma sei in Mitteleuropa auf der Suche nach sprachlich versierten Managern für ihre Luxusschiffe. Er erwog das Für und Wider. Er brauchte dringend Geld.
    Er würde sich bewerben, um sich endlich seinen Traum von der Donau zu erfüllen. Er würde Geld verdienen, um später weiter übersetzen zu können. Ohne sich von jemandem zu verabschieden, ohne einen Brief zurückzulassen, ohne jemanden von seiner Absicht zu unterrichten, trat er bereits sechs Wochen später seine neue Anstellung an.

10. BLEICH WIE MARMOR
    Als Martin drei Stunden später erwachte, hatte die
America
die oberösterreichischen Ortschaften und die Schleusen Aschach und Ottensheim schon passiert. In Linz begann gerade (am Flusskilometer 2135) das Anlegemanöver. Als er verschlafen aus dem Fenster schaute, sah er

Weitere Kostenlose Bücher