Tod auf der Donau
Zeit, das Kaffeehaus zu verlassen. Er erfuhr, dass keine einzige der drei Reiseführerinnen je Bratislava besucht hatte. Selbst nach zwanzig Jahren war Österreich mit der Slowakei lediglich durch zwei Brücken verbunden, eine davon diente der Eisenbahn. Vor dem Krieg gab es mehr als zwanzig davon. Martin übernahm die Rechnung für die gesamte Gruppe, ließ sich vom Besitzer des Cafés
Central
einen Beleg ausstellen, und kurze Zeit später saß er wieder im Bus.
»Diese Stadt ist fast so schön wie Frankfort!«, rief Jonathan.
»Meinen Sie Frankfurt?«
»Nein, Frankfort in Kentucky!«
»Aha, ja, das ist durchaus bekannt«, stimmte Martin zu.
Um eins kehrten alle drei Gruppen zum Schiff zurück. An Bord wurden soeben die letzten Vorbereitungen für die Weiterfahrt getroffen. Kapitän Atanasiu betrat kein einziges Mal das Land, von der Brücke aus überwachte er die anstehenden Arbeiten.
Dieser Hafen gehörte zu den am besten ausgestatteten auf dieser Route. Die Dampfschifffahrt begann in Wien schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1830 gelang es dem Schiff
Franz I.
über Prešporok bis nach Budapest und retour zu fahren. Ein reger Verkehr an Ausflugsschiffen von Wien bis Sulina und Konstantinopel folgte. Aus Werbegründen für den Personenschiffsverkehr ließen die Habsburger sogar eigene Briefmarken drucken.
Martin betrat das Schiff. Er wollte seine Gedanken ordnen, doch in all der Hektik fand er keine freie Minute.
»Hör mal, Guide, wo ist noch mal die Sauna?«, fragte Peggy.
Viele Gäste wussten noch immer nicht seinen Namen oder erwarteten, dass er sie bediente, und Martin tat so, als ob ihn das nicht weiter stören würde. Nach dem Mittagessen lasen die Passagiere die Schiffszeitung, die alle zwei Tage Geburtstagswünsche und Nachrichten über die Ereignisse auf dem nordamerikanischen Kontinent brachte; sie wurde von Martin gestaltet. Die meisten Nachrichten des zweiseitigen Blattes lud er aus dem Internet herunter. Er veröffentlichtenichts über den Absturz der amerikanischen Wirtschaft, den Bankrott einer weiteren amerikanischen Bank oder die stetigen Unruhen an der Börse.
Zu Abend aß man heute früher, schon um fünf, damit sich die Gäste noch auf das Konzert vorbereiten konnten. Er beobachtete die Gesichter seiner Kollegen zu Tisch. Der Tod Veneras ging ihm nicht aus dem Kopf. Der Mörder musste schließlich noch an Bord sein. Er nahm sich vor, in seinem Notizbuch alles zu vermerken, was er über den Vorfall wusste.
Die reichsten Passagiere wechselten sich am Ehrentisch des Kapitäns ab. Martin brauchte einige Zeit, bis er sich an die übertrieben affektierten Rituale gewöhnt hatte. Atanasiu genoss seine Stellung in vollen Zügen. Tamás wiederum vertrug absolut keinen Staub auf seinem Tisch. Jede Beschwerde hielt er für eine Beleidigung seiner Professionalität und Ehre. Die Kellner deckten mit größter Sorgfalt zuerst Servietten und das silberne Besteck, erst dann durfte der Koch mit weißer Haube die Vorspeisen servieren. Jeder an der Tafel wartete höflich, bis er bedient wurde, wobei die Damen als Erste zum Zug kamen. Die Tischgesellschaft heftete ihren Blick auf den Kapitän, als dieser den Wein verkostete oder wenn er mit dem Messer den Fisch tranchierte, und erst danach machten sich die Passagiere an ihr Essen. Diesen Augenblick wagte niemand zu stören, nicht einmal mit einer unbedeutenden Bemerkung über das Wetter. Manchmal störte ein eingeladener Amerikaner die Stille, sprach oder lachte laut, doch nach einigen Augenblicken begriff sogar er, welches Missverhalten er gerade an den Tag legte.
Einmal passierte es Martin, dass er sich bei einem Toast verschluckte. Er wurde mit giftigen Blicken bedacht. Seitdem sorgte er sich sogar um das Geräusch seiner Kiefer. Gewöhnlich beeilte er sich, so gut es ging, er musste schnell essen. Auch die Schiffsoffiziere blieben zumeist hungrig. Sie hatten einfach nicht genug Zeit. Atanasiu hingegen dinierte nach Lust und Laune.
Das Konzert für die Reisegesellschaft fand im Palais Liechtensteinin der Fürstengasse statt, 1700 von Domenico Martinello erbaut. Die Touristen warfen sich dafür in Gala-Garderobe, doch das Ergebnis ihrer Bemühungen war mehr grotesk, denn elegant. Den meisten stand die erste Begegnung mit klassischer Musik in ihrem ganzen Leben bevor.
Martin ermutigte seine Zöglinge.
»Es wird kein typisches Konzert sein, das nur von ausländischen Touristen besucht wird. Diese exzellente Veranstaltung habe ich für Sie
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