Tod auf der Donau
Rufe vernommen, als die Leute auf der anderen Seite, bei Hainburg, am Ufer entlanggingen waren, die sind dann mit einem Boot zur Insel. Sie haben uns nach und nach ins Wirtshaus gebracht und die jüdische Gemeinde in Bratislava verständigt. Wir haben gefroren und waren nass, und sie haben uns bis nach Bratislava gebracht und uns etwas zu Essen und Kleidung gegeben. Doch schon in der Nacht hat uns die Tschechoslowakei zurück nach Österreich abgeschoben. Drei Wochen lang wurden wir auf der Grenze hin- und hergeschoben, wie ein herrenloses Gut, das niemand verzollen wollte. Die Nazis haben einige bei den Transfers erschossen, drei sind ertrunken, als sie die Donau durchschwimmen wollten. Eine Familie ist auf ein französisches Schiff gestiegen, um damit bis nach Palästina zu fahren, doch angeblich sind sie dort nie angekommen. Ich bin schließlich in Budapestgelandet, habe den Krieg bei einer ungarischen Familie verbracht, doch meine Mama haben sie nach Auschwitz verschleppt. Hier habe ich sie zum letzten Mal gesehen.«
Erwins Gesicht kam näher an Martin heran. Sein Blick ging unter die Haut.
»Ich wollte Hainburg noch einmal sehen, doch das habe ich nicht mehr geschafft. Ich sehe kaum noch die eigene Hand. Alles zerfließt vor meinen Augen und gerät durcheinander.«
»In einem gewissen Sinne haben Sie es gesehen«, sagte Martin.
»Ja. Für mich ist das hier der schönste Abschnitt an der Donau. Ich vergöttere New York. Ich bin Amerikaner, lebe in Brooklyn, doch bin ich weder orthodox noch gläubig. Hier in der Nähe jedoch bin ich geboren, es mag wie ein Klischee klingen, doch ich habe das Gefühl, dass ich tatsächlich hierhergehöre.«
Der zierliche Mann hielt sich mit beiden Händen an der Reling fest und blickte ins Wasser. Martin fasste Herrn Goldstucker an seiner kalten Hand, die der Mann verlegen zurückzuziehen suchte, und drückte sie. Erwin sagte nichts. Martin lehnte sich an, er war nicht imstande, etwas anderes zu tun, als in die Dunkelheit zu starren. Die Finger des alten Mannes irrten umher, bis sie schließlich die Wand fanden. Er wandte sich ab, um zu gehen und brummte etwas, seine Augen blieben auf Martin geheftet:
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie gestört habe.«
»Nein. Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Und ich sage dies nicht aus Höflichkeit, ich meine das aufrichtig.«
Beim Flusskilometer 1880, am Zusammenfluss mit der March, begann slowakisches Staatsgebiet. Martin war zu Hause.
14. GRAF DRACULA
Ohne die Donau wäre Bratislava gar nicht entstanden, zunächst war es nicht mehr als eine Furt, weit und breit die einzige Stelle, an der man den mächtigen Fluss queren konnte. Hier kreuzte sich auch die Bernsteinstraße (vom Norden) mit der Seidenstraße (vom Osten). Vom Norden war die Stadt durch die undurchdringlichen Wälder der Kleinen Karpaten geschützt, im Süden floss die Donau, und im Osten zogen sich Auwälder hin. Žitný ostrov, die größte Flussinsel Europas, bildete einst in der Urzeit ein riesiges Delta, von dem heute nur noch ein paar kümmerliche Reste erhalten sind. Die Donau und die Stadt gehen ineinander über, der Fluss griff fast in ein jedes Leben ein, beinahe jeder hatte mit ihm zu tun. Er teilte die Stadt in zwei ungleiche Hälften, viele Gassen der Altstadt führten zum Wasser.
Bratislava wurde im Laufe vieler Jahrhunderte errichtet. Es erhob sich aus der Donauebene, krallte sich am Burghügel fest und versuchte, die ersten Karpatenhänge hinaufzuklettern. Die Mauern wurden mit vier Türmen gesichert.
Wegen des Flusses geriet die Gegend häufig in Bedrängnis. 1052 kam der deutsche Kaiser Heinrich III. mit seinen Schiffen an, belagerte die Burg und das Dorf, doch die Stadt wurde wieder einmal vom Fluss gerettet – eine Gruppe Bratislaver (unter der Führung eines gewissen Zotmund) konnte mit Schilfrohren im Mund unter den feindlichen Schiffen hindurchtauchen und sie schließlich versenken. Der Fluss bereitete sogar Hitler schlechte Laune; als dieser 1938 bis zum Petržalka-Ufer kam, hatte ihn der Blick auf einen großen Löwen, das Symbol der freien Tschechoslowakei, dermaßen angewidert, dass er ihn abschleifen ließ.
Bratislava hat in seiner Geschichte Prešporok, Pressburg und Poszonygeheißen, und es lebten hier Deutsche, Juden, Ungarn und eine slowakische Minderheit, die zunächst zur Habsburger Monarchie und später zu Österreich-Ungarn gehörte. Binnen weniger Kriegsjahre wurden alle Juden abtransportiert, danach wiederum alle Deutschen,
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