Tod auf der Donau
andere Flüsse, die untere Waag, Neutra und March, doch auch in kleinere Flussläufe, wie die Theiß. Geschichten über Störe wurden gern ausgeschmückt.
Die Störe tauchten geschickt unter den Betonbarrieren durch und widerstanden allen Verlockungen. Martin sah sie als Erster und erlebte einen Anblick, der die Menschen seit jeher in Verzückung versetzt hatte. Zwei Dutzend Fische überwanden mit Leichtigkeit den Donaustrom. Bei manchen ragte der Rücken aus dem Wasser. Man schätzte sie auf sieben oder acht Meter Länge. Der Fluss kochte förmlich vor all den glitzernden Schuppen. Wenn sie sich ab und zu ausruhten, sahen ihre Körper wie große Felsblöcke aus. Ein paar Sekunden später bewegten sie sich unverhofft. Sich der allgegenwärtigen Gefahr bewusst, schwammen sie in Schwärmen, berührten einander an den Flanken und genossen ihre Schwimmkünste. Sie hinterließen eine breite Rinne, an deren Rändern die Luftblasen unter den Möwenfüßchen zerplatzten. Einst waren Hunderte Störe den Strom auf und ab gewandert. Der größte Fang aller Zeiten soll vor mehr als hundert Jahren über eine Tonne gewogen haben, doch Jozef glaubte das nicht.
Er nahm eine Schnur, dick wie sein kleiner Finger, einen Haken, groß wie seine Handfläche, und den größten Köder, den er je verwendet hatte: eine halbe gerupfte Ente. Er stand angespannt da und widmete sich voll und ganz seiner Jagd. Die Störe schwammen vorbei und entkamen. Einer jedoch biss an. Er erkannte allerdings die Gefahr, schoss nach vorn, und man sah seinen Kopf aus dem schäumenden Wasser ragen. Hinter seinem Schwanz blubberte es, vor dem breiten Maul bildete sich ein Strudel. Er bäumte sich blitzschnell auf, warf sich in Richtung seiner Gefährten, doch die Angelschnur ließ dies nicht zu.
Der Stör schwamm resigniert umher, schien Angst zu haben, doch wie aus dem Nichts warf er sich plötzlich in die andere Richtung und schoss davon. Zum ersten Mal in seinem Leben rief Jozef zwei andere Männer zu Hilfe. Die Angelrute bog sich bis aufs Äußerste. Der Stör kam an die Oberfläche, riss das Maul auf und schien zu drohen.
»Der kann gut dreißig Jahre alt sein«, stieß einer der Fischer hervor.
»Mehr noch, vielleicht fünfzig«, antwortete der andere.
Josef schwieg eisern. Fünfundvierzig Minuten lang kämpfte er mit dem Fisch. Der nächste Fluchtversuch war von kürzerer Dauer. Der Stör kapitulierte schließlich und ließ sich auf dem Rücken zum Ufer ziehen.
Sie trieben ihn in eine Art geschickt angelegtes Pfahlgatter. Martin schubsten sie weg, um ihn nicht zu verletzen. Nun begann die zweite Runde. Kaum war der Stör in der Falle, schien er zu begreifen, dass dies nun seine letzte Chance war, er erwachte noch einmal zum Leben und schlug in alle Richtungen aus wie ein wütender Boxer.
Die Männer umstellten den Fisch und zogen ihn mit vereinten Kräften zum Ufer. Sie mussten allerdings Opfer bringen. Der Stör biss zwei Menschen, stieß mit dem Kopf gegen ihre Brustkörbe und peitschte sie mit den Barteln. In Todeskrämpfen schlug er um sich, wand sich wie ein Drache, schwamm im eigenen Blut und hüllte sich in einen vom eigenen Körper aufgewirbelten Vorhang aus fallenden Tropfen.
Das stumme Flusswesen hatte keine Stimme, umso grauenvoller war sein Röcheln. Er krümmte sich auf die eine, dann auf die andere Seite, doch es konnte nun nicht mehr mit dem Leben davonkommen. Jemand schrie, doch dann wurde es jählings still. Blut floss. Der Vater berührte den glitschigen Bauch, ebenfalls nach Atem ringend. Der Stör zuckte nach links und rechts, fächerte wie wild mit seinen Kiemen. Es fielen einige harte Schläge, man erschlug ihn mit Knüppeln, und dann zog sogar ein herbeigeeilter Polizist die Pistole und schoss ihm in den Kopf.
Der Vater kroch aus dem Wasser, setzte sich ans Ufer und starrte die Leiche an. Die Fischer waren bald von einer Menschenmenge umrundet. Ein Journalist von der Abendzeitung machte ein paar Fotos. Ein herbeigerufener Wagen zog den Stör zur Gänze an Land. Er maß zwei Meter zwanzig. Vater zog sein Messer aus der Tasche, versenkte es im Fleisch des Fisches und lächelte ausnahmsweise. Aus dem Bauch des Störs brachen Millionen an Eiern hervor, kostbarsterKaviar. Abends verkostete ihn Martin und aß auch reichlich vom delikaten Fleisch. Die Eltern tranken zu jedem Bissen Wodka und beschlossen – anlässlich dieses feierlichen Anlasses – auch gleich den Kauf eines Škoda 105. Den Rest des Fisches kassierte der
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