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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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strategischen Stelle, am linken Ufer, dem Zusammenfluss der Donau mit der Hron, hatten die Römer einst eine Siedlung namens Anavum erbaut.
    Die beiden Ufer verband eine der schönsten Donaubrücken. Benannt war sie nach der Kaisertochter Marie-Valerie, hatte vier Pfeiler, über die sich eine Eisenkonstruktion in fünf Bögen spannte. Insgesamt maß sie 480 Meter. Die Deutschen hatten sie bei ihrem Rückzug im Jahr 1945 zerstört. Bis 2001 lag der Bau als ein Sinnbild für die bescheidenen nachbarschaftlichen Beziehungen brach, dann wurde die Brücke endlich erneuert.
    Auf der anderen Seite lag das ungarische Esztergom mit einer imposanten Basilika. Die Amerikaner fotografierten, und Martin weihte sie in die Geschichte dieses Doms ein, welcher mittelalterlich aussah, doch eigentlich war erst 1822 mit dem Bau begonnen worden. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts wurde dort der erste ungarische König, der heilige Stefan, geboren, und Esztergom mauserte sich für zweieinhalb Jahrhunderte zur Hauptstadt. Nach der Invasion der Türken verlor die Stadt für eine lange Zeit an Bedeutung.
    Rechts breiteten sich die Pilisberge aus. Eine Stunde später stach auf dem Gipfel gegenüber von Nagymaros die obere Visegráder Burg hervor, und am Ufer lag eine andere, sie enthielt auch das Palais der Könige.
    Im Ungarischen blieben die Ortsnamen unverändert. Der Name Visegrád wurde hier seit gut 1500 Jahren verwendet. Für Mitteleuropa war es bezeichnend, dass dort auch böhmische und polnische Könige einst ihren Sitz gehabt hatten – allerdings keine slowakischen, denn solche gab es nicht. Den Höhepunkt seiner Macht genoss Visegrád im 15. Jahrhundert, während der Herrschaft des Königs Matthias Corvinus, der, als ein Verbündeter Roms, erfolgreich die Türken zurückgedrängt hatte.
    Die
America
gelangte nunmehr zum Flusskilometer 1708, zur sogenannten Mündung von Ipel, einer Donauschlaufe. Der Fluss wandte sich aus östlicher Richtung nach Süden, verließ die Slowakei, teilte sich in zwei große Arme und ergoss sich in eine breite Ebene.

17. DAS ENDE DER KINDHEIT
    Das erste Mal reiste Martin im August 1989 nach Ungarn. Seine Kindheitsjahre waren verschlafen wie die Reden der Parteifunktionäre, gähnend und langsam wie ein Trabi auf der Autobahn und eintönig wie Nachmittagssendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks. Die zwei Ferienmonate, vom 1. Juli bis 31. August, verliefen fast immer gleich. Ganze Wochen lang hing er zu Hause herum, las viel und versuchte, nicht ständig an Mona zu denken. Gelang es ihm, die Eltern zu überzeugen, fuhren sie in Urlaubsdestinationen von solch internationaler Anziehungskraft wie Kokava nad Rimavicou, Domažlice oder Zemplínská Šírava, aus purer Verzweiflung wohl auch »slowakisches Meer« genannt. Die Sonnenidylle wurde beharrlich von sowjetischen Piloten in ohrenbetäubenden Kampfflugzeugen gestört, die pflichtbewusst die Tschechoslowakei vor einem Angriff des Westens bewachten. Der Vater versprach ihm einen ersten Urlaub im Ausland. Eine große Sache.
    Im Frühjahr 1989 wuchs das Chaos von Woche zu Woche und bekam schon bald völlig absurde Züge. Das Regime zwang das Leben auf ein dermaßen primitives Niveau, dass nur noch die Leute halbwegs gut angezogen waren, die auch in Textilgeschäften arbeiteten. Das Land mit seiner rasch im Wert sinkenden Währung überlebte lediglich dank seiner Schwächen, die Leute selbst hatten keine Kraft mehr. Die Ernten fanden im Fernsehen statt, und der Roggen blieb einfach auf den Feldern liegen, ungeerntet. Obwohl der Ostblock langsam zusammenbrach, bestand ein großer Teil des Unterrichts aus Erklärungen, was die Sowjets alles geschaffen und die Amerikaner zerstört oder von ihnen kopiert hatten. Schon Ungarn kam Martin wie ein unerreichbares, kapitalistisches Glück vor, unddas unbekannte Jugoslawien schien so weit entfernt wie ein anderer Planet.
    Der Vater verkündete, wenn man schon zu reisen gedenke, dann doch wenigstens in eine Stadt an der Donau. Er und Martin wünschten es sich sehr, Budapest kennenzulernen. Sie fuhren mit dem Škoda 105, dessen Name den Eindruck implizierte, dass es vor diesem Modell schon 104 andere gegeben hatte und dieses den Höhepunkt einer langandauernden (erfolgreichen) Entwicklung darstellte. Dem war jedoch nicht so. Wenn man mit einem solchen Fahrzeug unterwegs war, wuchs die Entfernung zu all den Bergen, Seen und Meeren stetig, und eine ansonsten einstündige Reise konnte vier oder fünf Stunden

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