Tod auf der Donau
Staat.
16. DONAUBIEGUNGEN
Mona schlief zum ersten Mal nicht in seiner Kajüte.
Niemals hört die Donau auf zu fließen, selbst wenn lange Dürreperioden auftreten, weil sie von Quellen aus fernen Gebirgen gespeist wird. Der Slowakei gehören 172 Kilometer.
Auf der rechten Seite, bei Čunov, befand sich eine Galerie mit Gegenwartskunst, die Danubiana. Hinter Bratislava biss sich die Donau durch die kleinen Karpaten, mündete in die ungarische Tiefebene und bildete viele Seitenarme. Die
America
schwamm vorbei an Ahorn- und Pappelwäldern voller Misteln. Der Strom riss ganze Bäume mit sich. Irgendwo hier überquerte im Jahr 173 der Kaiser Marc Aurel mit seinen Truppen die Donau und gelangte so an ihr nördliches Ufer, das Gebiet der Barbaren, der germanischen Quaden. Die provisorische Pontonbrücke bauten sie sich aus Booten. Sie ist bis heute am Relief einer Gedenksäule in Rom zu sehen.
Auf slowakischem Gebiet wurde früher an seichten Stellen tatsächlich Goldsand gewaschen. Die Menschen verdienten mit dieser harten, beharrlichen, jedoch freien Arbeit ihren Lebensunterhalt. Ganze Jahrhunderte lang nahm die Donau Goldkörner in überraschenden Mengen aus den Alpen mit, die »Große Schüttinsel« wurde daher auch »Goldener Garten« genannt. Laut einer Sage fielen die goldenen Körner aus den Kleidern der Donaufeen, aus Sonnen- und Mondstrahlen, Blumenblättern und goldenen Haaren gewoben. Die Körner wurden von Sand und Kies getrennt, mit Quecksilber vermischt und chemisch gereinigt. Die Fundstellen und Methoden der Gewinnung vererbten die Väter später an ihre Söhne.
Auf dem Stausee in Gabčíkovo, einem 20 Kilometer langem Zuflusskanal, machte Martin die Amerikaner darauf aufmerksam, dassdas Wasser einige Meter höher floss, als die umliegenden Dörfer und Städte lagen. Die kontroversen politischen Umstände, die das Entstehen dieses Wasserwerks begleitet hatten, sparte er lieber aus.
Der höchste Aussichtspunkt des Schiffes bot einen beeindruckenden Ausblick. Eine ruhige Landschaft, mit Obstgärten und gemähten Feldern, strahlte eine überbordende Fruchtbarkeit aus.
Die Sonne schien gnadenlos, kein Blatt rührte sich. Die
America
schwamm unter der mehr als hundert Jahre alten Elisabethbrücke in Komárno vorbei, auf der dichter Grenzverkehr herrschte.
Der Blick auf den Kapitän war nicht gerade erfreulich. Atanasiu steuerte das Schiff in zerknitterter Uniform und war betrunken. Sein Gesicht wirkte dunkelrot, die Augen blutunterlaufen, und von der Stirn tropfte ihm der Schweiß. Wenn er essen wollte, ließ er sich die Speisen bringen. Wie kann ein so desolater Mensch eine solche Verantwortung tragen? Er grüßte nicht einmal mehr die anderen Kapitäne. Wenn sich zwei Schiffe an der Donau begegneten, unterhielten sich die Schiffsführer für gewöhnlich kurz per Funk miteinander. Die Dialoge setzten sich oft fort, selbst wenn die Schiffe längst hinter der nächsten Biegung verschwunden waren. Viele Kapitäne kannten sich, stammten aus gleichen Häfen oder hatten an der gleichen Hochschule studiert. Meistens sprachen sie nicht auf Englisch, damit sie sich ungestört über die amerikanische Klientel austauschen konnten, sondern in gebrochenem Serbokroatisch, Russisch oder Rumänisch.
»Grüß dich, Atanasiu! Wie geht’s dir, Mann!«, meldete sich der slowakische Kapitän Oliver Benkovský von einem großen deutschen Schiff, der
MS Arosa
. Martin wusste, dass ihn Atanasiu sehr gut kannte. »Hey, Männer, seid ihr noch da? Habt ihr gestern etwa so viel gesoffen, dass ihr noch schlaft, ihr Bestien!? Ich habe es euch ja gesagt, sauft nicht mehr so viel Schnaps, ihr Schweine! Oder habt ihr wieder diesen rumänischen Rachenputzer gebechert? Ich habe euch gewarnt! Hallo? Hört ihr mich?«
Atanasiu gab keinen Laut von sich, starrte auf die Wasseroberfläche und schwieg. Das Signal wurde unterbrochen, aus den Lautsprechernhörte man ein Rauschen, ein sporadisches Piepsen, dann
schkrrrrrrr, schkrrk,
und das Gerät war plötzlich stumm. Was Martin sah, berührte ihn längst nicht mehr.
»Hast du schon dein Testament gemacht?«, fragte ihn Atanasiu unvermittelt.
»Nein, um Gottes willen«, antwortete Martin. »Wozu?«
»Dann beeil dich, damit es nicht zu spät ist.«
»Jetzt übertreib nicht …«
»Ich habe es seit meiner ersten Reise dabei. Ohne dieses Stück Papier würde ich das Schiff gar nicht betreten. Man sieht, dass du noch gar nichts über die Donau weißt.«
Der Kapitän bremste. An einer
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