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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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er, dass sich seine Kindheit dem Ende zuneigte.

II. TEIL

 
    »Wenn du das Dröhnen des Flusses hörst, verzichte auf alle Zukunftspläne.«
    Gyula Krúdy:
Traumbuch
     
    »Die Donau existiert nicht, das ist ganz klar.«
    Péter Esterházy
     
    »Ich folgt’ ihm nach, um Weitres zu erkunden, Worauf uns bald des Stroms Gebraus erklang,
    So nah, daß wir uns sprechend kaum verstunden.
    Gleich jenem Flusse mit dem eignen Gang.«
    Dante Alighieri
     
    »Die Donau kennt alles, was Europa kennt. Nichts Neues ereignet sich, es sei denn, an der Donau würde es erprobt werden, und nichts Altes kann verschwinden noch aus glücklicher Vergessenheit wieder auftauchen, das nicht schon in der Donau versunken war oder gespenstisch wieder an eines ihrer Ufer trat.«
    Karl-Markus Gauß

18. RAUSCH DER MELANCHOLIE
    Nur in Budapest blieb die
MS America
auf ihrer Reise zum Donaudelta ganze zwei Tage lang. Um wenigstens die Illusion einer Veränderung zu vermitteln, setzte sie am zweiten Tag ans andere Ufer über. Martin betrachtete das Parlament, das größte europäische Gebäude im neugotischen Stil. Ein jedes Mal, wenn er die ungarische Metropole aufsuchte, bekam er ein kosmopolitisches Lebensgefühl. In Budapest fühlte er sich von der ersten Minute an wohl.
    Die ungarische Reiseführerin Katalin erinnerte an eine zerstreute Göttin der Fruchtbarkeit mit einem Tuch um den Hals, sie quasselte wie aufgezogen. Kaum hatten sich die drei Busse in Bewegung gesetzt, begann sie, die Gäste mit allerlei Zahlen zu beeindrucken:
    »Das Parlament ist 268 Meter lang, 123 Meter breit und 96 Meter hoch. Die verbaute Fläche beträgt 18.000 Quadratmeter. Im Gebäudeinneren befinden sich 10 Innenhöfe, 13 Aufzüge, 27 Tore, 29 Stiegen und 691 Räume, davon 200 Büros. Den Raumschmuck bilden 90 Statuen und Wappen.«
    Die Passagiere hatten große Mühe, ihr zu folgen, doch sie ließ sich nicht beirren. Martin versuchte ihr zu erklären, dass die Amerikaner keine Vorstellung von Metern hatten, doch es half nichts, Katalin plapperte unermüdlich weiter.
    Budapest liegt an beiden Ufern der Donau, und die Stadtführung dauerte rund fünf Stunden – um einiges länger, als die Amerikaner bewältigen konnten. Sie gingen die Andrássy-Straße entlang. Sie überquerten die zentral gelegene Kreuzung, die, ihrer Form wegen, den Namen »Oktogon« bekommen hatte. Anstelle der einst berühmten Cafés
Claridge
,
Savoy
oder
Abbázia
gab es nun bekannte und geläufige Fastfoodketten.
    Nach einer einstündigen Rückfahrt kamen die Touristen völlig erschöpft zum Heldenplatz zurück, gemartert von der sengenden Hitze, zerstochen von Mücken und betäubt von lästigen Straßenverkäuferinnen, die neben grässlichen Ansichtskarten und falschem ungarischen Paprika auch eine Verjüngungscreme anboten. Weiter ging es durch den Stadtteil Erszebetváros, mit seinen unverputzten Häusern, Balkons wie aus einer Theateraufführung, rostbehangenen Gittern, traurigen Stuckverzierungen, und überall in der Luft lag diese tranceähnliche Melancholie.
    Nach der Pester Stadtführung, mit dem Haus des Terrors, dem Zoo, dem Stephansdom, der Staatsoper, der Váci-Straße, der städtischen Markthalle und dem Széchenyi-Thermalbad, fuhr der Bus über die Kettenbrücke, auf der mehr Chinesen und Koreaner als Ungarn zu sehen waren. Sie umrundeten den Adam-Clark-Platz. Im Tunnel unter dem Burghügel waren die Schlussleuchten der Autos zu sehen. Nach einem langen Aufstieg erreichte die Gruppe den Budahügel mit seinem Panoramablick. Die Amerikaner besichtigten den Königspalast, die Matthiaskirche und die Fischerbastei.
    Martin machte sich unauffällig aus dem Staub, um einen Kaffee zu trinken und sein geliebtes Kastanienpüree zu probieren. Wohin das Auge reichte, war kein Hochhaus zu sehen.
    In der Ferne tauchte wieder die Reiseführerin mit der gesamten Gruppe auf. Sie hatte gewiss erwartet, ein höheres Trinkgeld zu bekommen, je mehr sie sagen und zeigen würde; dieser Zusammenhang bestand in Wirklichkeit aber nicht.
    Auf dem Weg zurück zum Schiff sprach Katalin auch über die älteste Kettenbrücke, die Széchényi, die als erste feste Uferverbindung 1849 erbaut worden war. Entworfen worden war sie vom englischen Baumeister Adam Clark, der unter mysteriösen Umständen Selbstmord begangen hatte. Eröffnet wurde sie als Symbol der Modernisierung und des Fortschrittsglaubens. Als 1873 die zweite in Betrieb genommen wurde, die Margaretenbrücke, hatten die Bewohner längst andere

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