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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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Schwindelgefühl. Es kam ihm unwirklich vor, sich nach all dem, was geschehen war und was er überlebt hatte, in einer solch komfortablen Umgebung wiederzufinden. Seine Schritte hallten durch die Wohnung, taumelnd, als ob ihn plötzlich die Seekrankheit befallen hätte.
    In den ersten drei Monaten konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Sein Fuß schmerzte. Jeden Tag war er todmüde. Er schlief unruhig, hatte Albträume, und durch seinen Kopf schwirrten all seine Fehlentscheidungen und deren Folgen. Doch auch jenes vage Glücksgefühl, überlebt zu haben, verließ ihn nicht. Er befand sich wieder in dieser sicheren Stadt, in einem sicheren Haus, das in der Zwischenzeit beheizt und gestrichen worden war.
    Die Teppiche, Vorhänge und Regale mussten dringend geputzt und zum Teil ausgetauscht werden. Mit mäßiger Begeisterung widmeteer sich allerlei praktischen Dingen: Er reinigte die Fliesen, reparierte die Schränke, er trug schließlich zehn durchsichtige Müllsäcke und zwanzig schwere Papierstapel hinaus. Er schraubte Bücherregale zusammen, strich Wände, rief den Installateur und den Elektriker, um Rohre und Leitungen auszubessern. Er unterzog sich einer Behandlung im Krankenhaus, da er mehr hinkte als je zuvor.
    Das Schmerzensgeld hatten sie ihm nicht gleich ausbezahlt. Sie übermittelten ihm zunächst die Entlassungspapiere und ein Empfehlungsschreiben, sofern er sein Glück bei einer anderen Gesellschaft versuchen wollte. Doch das interessierte ihn alles nicht mehr. Erst später wurden ihm zwei Schecks zugestellt. Wenn er alles zusammenrechnete, kam er zu dem Schluss, dass er – wenn er bescheiden bliebe – eineinhalb Jahre, vielleicht auch zwei, würde übersetzen können. Für das Geld kaufte er sich auch noch ein kleines Auto, einen Computer und einen Internetanschluss. Er konnte es kaum erwarten, bis seine Finger endlich die Tastatur berührten, um ein neues Buch zu übersetzen.
    Das Unternehmen American Danube Cruises unternahm keine Fahrten mehr in Mittel- und Osteuropa, ab dem nächsten Jahr wollte es seine Flotte am Rhein, am Mohan, der Loire und weiteren Wirkungsstätten verteilen. O’Connor bot allen Anschuldigungen die Stirn, bestimmt würde er davonkommen. Im Netz war Martin aufgefallen, dass es sogar Gedenkseiten gab, die der
MS America
gewidmet waren; zudem hatten sich Passagiere und Crew in sozialen Netzwerken miteinander angefreundet. Nach der Lektüre diverser Diskussionsforen stellte er fest, dass auch Konflikte und Drohungen aufgetaucht waren; es gab auch ein paar Gerichtsstreitigkeiten um Abfindungen. Von Jonathan und Catherine erhielt er einige E-Mails, die voller aufrichtiger Trauer waren, doch er beantwortete diese nur sporadisch. Schon aus Prinzip unterhielt er keinerlei näheren Kontakte zu Passagieren.
    Er nahm seinen Mut zusammen und begann mit einer Übersetzung. Seit dem Wintersemester war er Assistent an jener ItalienischenFakultät, wo er einst studiert hatte. Er träumte davon, dass ihn die Buchseiten von nun an sein Leben lang begleiten würden. In Gesprächen mit Studenten erinnerte er sich an so manche Episode aus seiner Kindheit, diese Welt, in der er aufgewachsen war; doch kam er nicht umhin zu fragen – in Anbetracht der überraschten Studentengesichter –, wie viel von dem, was für ihn noch selbstverständlich gewesen war, für diese längst Geschichte darstellte, etwas, was sie sich nicht mehr genau vorstellen konnten. Er kam sich zwar jung vor, doch im Kontakt mit den Studierenden begriff er, dass er es längst nicht mehr war.
    Er fand sich in einem neuen Laufrad wieder. Morgens machte er sich Frühstück, danach eilte er in die Universität, wo ihn ein langer und anstrengender Tag erwartete, in den Pausen übersetzte er zumindest ein halbes Kapitel; er gab drei Kurse, nach dem Mittagessen ging er einkaufen, fuhr nach Hause, machte sich Abendessen, bereitete die Vorlesung für den nächsten Tag vor. Ab und an blieb ihm noch ein bisschen Zeit, um übersetzte Passagen fertigzustellen. Nachts wurde er immer wieder wach und konnte danach nur schwer einschlafen. Schläfrig und nervös begann er im Bett einen neuen italienischen Roman zu lesen, er überlegte, wie er diesen und jenen Satz wohl übersetzt hätte. Er spürte, wie ihm irgendetwas unter den Fingern zerrann.
    Ein ukrainischer Milliardär und Sensationsjäger ließ für eine ordentliche Stange Geld das Flusswrack heben. Die Medien verbreiteten die Nachricht, und es hagelte reichlich phantastische und

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