Tod auf der Piste
einer fetten Eins und drei Kreuzchen markierte sie die Platzpatronen-Schützen und mit einer Zwei und einem Sternchen den Todesschützen.
»Vielleicht hatte die Gruppe eins ja mit dem Todesschützen gar nichts zu tun? Oder anders formuliert: Womöglich waren die Platzpatronenschützen aus anderen Gründen am Berg als der vierte Mann?« Irmi sah Kathi fragend an.
Kathi wurde langsam wieder die Alte. Sie war sichtlich genervt, was sie immer war, wenn ein Fall so zäh anlief. Geduld war nicht gerade ihre Stärke. Benediktinische Demut schon gar nicht. »Es könnte höchstens sein, dass die Platzpatronentruppe irgendwas Verbotenes am Berg angestellt hat und mit dem Todesschützen gar nichts zu tun hat. Als die drei den Schuss hören, verschwinden sie schleunigst, weil sie in nichts reingezogen werden wollen. Solche unangemeldeten Schießspiele sind doch auch verboten, oder?«
»Aber dann könnten die drei ja Zeugen des Verbrechens gewesen sein!«, rief Irmi. »Wenn wir die finden, bekommen wir vielleicht eine Beschreibung des Mörders.«
»Oder aber die kannten sich alle, und einer von ihnen hatte scharfe Munition, und die anderen drei nicht.«
Kathis Worte verhallten im Raum. Es war so leise, dass das Geräusch des Computers, das sonst keiner wahrnahm, wie Meeresrauschen klang.
»Das hört sich an wie russisches Roulette. Vier Waffen, eine geladen. Bedeutet das, dass die vier Männer ein Erschießungskommando für Buchwieser gebildet haben?«
Und wenn außerdem noch der engagierte Jungfilmer Lutz Rasthofer und sein Kumpel Robin am Berg gewesen waren, dann hatte sich da eine halbe Fußballmannschaft ein Stelldichein gegeben, dachte Irmi.
Sie atmete tief durch und erzählte Kathi von ihrem Gespräch mit Grasegger und von ihrer Vermutung, dass Lutz und sein Freund Zeugen des Mordes gewesen sein könnten.
»Dieses kleine Scheusal!«, rief Kathi. »Ist Zeuge eines Mordes und erzählt uns was von wandernden Kröten.«
»Wir wissen das ja noch nicht. Außerdem denke ich, dass die Jungs Angst haben. Sie sind Mordzeugen, sie haben womöglich sogar einen Film!«
»Meinst du, die Jungs sind in Gefahr?«, fragte Kathi.
»Auch das dürfen wir nicht ausschließen. Wer einmal mordet, hat nichts mehr zu verlieren. Wir müssen uns Lutz und Robin vorknöpfen.«
»Heute noch?«
»Nein, es ist fast halb zehn.«
»Können wir das verantworten?«, fragte Kathi. In dem Moment war Irmi froh um das »wir«. Im Prinzip hatte sie als Vorgesetzte das zu verantworten, aber es war gut, dass Kathi ihr vermittelte, dass sie diese Entscheidung mittragen wollte.
»Ich glaube nicht, dass jemand nachts zwei Ettaler Schüler meuchelt, zumal wir nicht einmal genau wissen, ob der Mörder die Jungs überhaupt bemerkt hat.« Manchmal musste man eben Entscheidungen treffen – auch auf die Gefahr hin, dass sie unpopulär waren.
Zu Hause schaltete Irmi den Fernseher ein. Bernhard war mit den Schützen unterwegs. Trachtenverein, Schützenverein, Freiwillige Feuerwehr – manchmal fragte sich Irmi, wie er es überhaupt schaffte, die Landwirtschaft am Laufen zu halten. Bernhards ländlicher Sozialstress war gewaltig.
Sie zappte lustlos herum, in einem Dritten Programm kam die Wiederholung eines Krimis mit Maria Furtwängler als Kommissarin. Eine ungewöhnlich heftige Woge von Wut und Resignation überflutete sie. Maria Furtwängler, gerade aus dem Bett geholt, adrett geschminkt, wie aus dem Ei gepellt. Was war sie doch schön und souverän zugleich. Fast betroffen stellte Irmi fest, dass sie diese Fernsehfigur verabscheute. Vermutlich weil Frau Furtwängler einfach zu schön war und weil das Gehirn nun mal nicht trennt zwischen der Figur und dem wahren Leben. Wenn schon TV-Kommissarin, dann lieber Bella Block, wenn Irmi auch das Melancholische in deren Figur ein wenig überzeichnet schien. Sie mochte auch die Bodenseekommissarin, weil die tatsächlich einigermaßen seriös arbeitete und nicht unentwegt die Gesetze echter Polizeiarbeit verletzte. Wahrscheinlich, weil beide weit weg waren von der gertenschlanken Idealfigur einer Maria Furtwängler.
So als müsse sie sich selbst für ihre niederen Gedanken bestrafen, schaltete Irmi den Fernseher eilig aus und ging in ihr Schlafzimmer. Kater hockte unter ihrem Bett und starrte missmutig in den Raum.
Draußen wehte es. Der Fernseher hatte den Wind übertönt, doch nun war er nicht mehr zu überhören. Leider hatte der Wetterbericht recht behalten mit seiner Prognose, dass ein Orkan noch vor
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