Tod auf der Piste
denn da?«, fragte Irmi.
»Oh, so gegen zwei Uhr, das weiß ich so genau, weil ich den Kleinen noch gefragt hab, ob er so kurz nach dem Mittagessen denn schon wieder Eis vertragen würde.«
»Ja, ja, Kinder können immer Eis essen«, sagte Irmi jovial.
Kathi warf ein: »Meine Tochter auch, und da ist es egal, ob es draußen zwanzig Grad minus hat.«
Nach einer Weile fröhlichen Geplänkels rund ums Eisessen verabschiedeten sich die beiden Frauen.
»Da schau her, der Haus- und Hofökonom!«, meinte Kathi. »Er war beim Eisessen, bloß keineswegs am Vormittag, sondern um zwei. Der hätte jede Menge Zeit gehabt, vorher seine Bretter zu schultern und einen kleinen Skiausflug zu machen.«
»Ja, und der Mann ist bekannt wie ein bunter Hund. Den muss doch einer gesehen haben, wenn er den Lift genommen hat, oder?«, fragte Irmi.
»Na, ganz so einfach ist das nicht. Er kann im ganzen Skigebiet eingestiegen sein. Zudem sind da wahrscheinlich nicht immer überall die gleichen Liftmänner. Man müsste da…« Kathi überlegte kurz.
»Richtig, man müsste da nachfragen. Und genau das machst du nachher!«
»Wie, ich? Kann das nicht Sailer machen? Der Cellerar hat uns angelogen. Dem müssen wir mal auf die Füße treten. Ich werde dem mal einheizen.«
»Nein, das wirst du nicht. Wir fahren jetzt zurück, und du versuchst jemanden zu finden, der den demütigen Pater gesehen hat.« Irmi hatte die Stimme etwas erhoben.
»Aber ich…«
»Ohne aber.« Irmi war entnervt. Sie wollte nicht stets und ständig diskutieren müssen. Sie wollte einfach mal einen Befehl erteilen können, der auch ohne Murren gehört wurde.
Kathi schmollte die ganze Rückfahrt. Irmi hatte ein schlechtes Gewissen und war zugleich wütend. Auf sich selbst. Wieso tat sie sich so schwer, Aufträge zu erteilen? Das war doch Teil ihres Jobs. Wieso war sie so harmoniesüchtig? Sie verlangte doch nichts Ehrenrühriges und nichts Schwieriges. Sie verlangte nur, dass Kathi ihren Job machte. Für den sie Geld bekam.
Als Kathi wortlos an der Hausberg-Station ausstieg, fühlte Irmi sich grauenvoll.
Sailer hatte ihr im Büro einen Zettel auf den Tisch gelegt: Rasthofer Erwin, Parsevalstraße in Mering. Dazu eine Telefonnummer. Irmi wollte gerade die Nummer wählen, als Sailer hereinstürmte.
»Ja, des glauben S’ mir jetzt sowieso ned!«
»Was glaube ich nicht, lieber Herr Sailer?«
»Was i woaß.«
»Würden Sie mich bitte an Ihrem Wissen teilhaben lassen?« Das war heute irgendwie der Deppentag. Irmi hatte den dringenden Verdacht, dass solche Sturmnächte den meisten Menschen die Gedanken verbliesen und die Köpfe als leere Hüllen zurückließen, die einzig dazu dienten, dass es ihnen nicht in den Hals regnete.
Sailer starrte sie kurz an, dann legte er los. Irmi musste ihn mehrfach unterbrechen, weil er mit zunehmender Sprechgeschwindigkeit nicht bloß das Satzende, sondern ganze Halbsätze in seiner Kehle vermurmelte. Was Sailer aber letztlich zu berichten hatte, war beachtlich und machte Irmis Theorie vom entleerten Hirn zunichte. Denn was Sailer da geleistet hatte, hätte Irmi ihm gar nicht zugetraut. Weder mit noch ohne Sturm.
Nachdem Sailer Rasthofers Adresse in Mering herausgefunden hatte, hatte er sich auch noch die Autonummer und den Typ des Autos – es war ein Porsche Cayenne – besorgt sowie die Telefonnummern der Nachbarn. Dort hatte er dann angerufen unter dem Vorwand, er habe in Garmisch auf dem Parkplatz der Kreuzeckbahn versehentlich einen Porsche Cayenne angefahren. Der Fahrer habe ihm die Adresse wegen der Versicherung gegeben, er aber habe den Zettel verloren und könne sich nur daran erinnern, dass der Mann in der Parsevalstraße in Mering wohne. Daher telefoniere er jetzt die Straße durch.
Und siehe da: Schon die zweite brave Nachbarin hatte ihm bestätigt, dass der Erwin Rasthofer ganz früh zum Skifahren aufgebrochen sei. Die Dame fand Sailers Engagement natürlich sehr löblich, man hatte geplaudert, und über all der Plauderei hatte Sailer noch erfahren, dass der »Ka-Jenne« um fünfzehn Uhr wieder da gewesen sei.
Eine typisch schwäbische Nachbarin – aufmerksam und redselig. So gehörte sich das in anständigen Wohnvierteln. Immer ein Auge auf die anderen haben und auf deren Garten. Immer jene sozial ausgrenzen, die den Löwenzahn ausblühen ließen und damit jede Anstrengung der Parkrasenfraktion torpedierten. Und einen Anwalt beschäftigen wegen der Bäume, die über Nachbargrundstücke wucherten, und wegen der
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