Tod auf der Themse
»Oder sollen wir die großen
Wunder Gottes nur staunend betrachten?«
Seufzend wandte er sich
wieder dem Pergament zu, das er am Abend zuvor studiert hatte. Es zeigte
eine rohe Grundrißzeichnung seiner Kirche. Der Gemeinderat in seiner
Weisheit hatte entschieden, am Namenstag des Pfarrheiligen im
Kirchenschiff ein Mysterienspiel aufzuführen. Athelstan legte jetzt
eine Liste der Dinge an, die man dazu brauchen würde. Thomas
Drawsword, ein neues Mitglied der Gemeinde, hatte sich bereiterklärt, einen großen
Karren zu beschaffen, der als Bühne dienen konnte, aber sie würden
noch mehr benötigen. Athelstan studierte seine Liste:
Zwei Teufelsmäntel
Ein Hemd
Drei Masken
Flügel für die Engel
Drei Trompeten
Eine Höllenpforte
Vier kleine Engel
Nägel
Zu guter Letzt: Eine große Plane für den Hintergrund.
Das Stück hieß Das Jüngste
Gericht , und
Athelstan bereute inzwischen, daß er das Unternehmen mit solcher
Begeisterung in Angriff genommen hatte.
»Wir werden zu wenig Flügel
haben«, murmelte er. »Und Engel mit nur einem Flügel, das
geht nicht.« Er stöhnte. All das war nichts im Vergleich zu den
Streitereien darüber, wer welche Rolle spielen sollte. Watkin, der
Mistsammler, bestand darauf, Gott zu sein, aber Pike, der Grabenbauer,
machte ihm diese Rolle erbittert streitig. Dieser Kleinkrieg hatte auch
auf ihre Kinder übergegriffen, die sich über die Frage zankten,
wer die vier guten und die vier bösen Geister und die sechs Teufel
spielen dürfe. Watkins wuchtige Frau, deren Stimme den Messingklang
einer Posaune hatte, verkündete, sie werde Unsere Liebe Frau
darstellen. Tab, der Kesselflicker, drohte, sich ganz aus dem Festspiel
zurückzuziehen, wenn er keine Hauptrolle bekäme.
Huddle, der Maler, war zwar
über solches Gezänk erhaben, aber er hatte eigene
Probleme. Es machte ihm einige Mühe, einen überzeugenden Höllenschlund
zu malen. »Der vordere Teil des Karrens muß erhöht
werden, Pater«, beharrte er, »so daß die Verdammten,
wenn sie durch das Höllenmaul gehen, abwärts verschwinden.«
Athelstan warf seinen
Federkiel auf den Tisch.
»Weißt du, wen
wir brauchen, Bonaventura?« sagte er. »Sir John Cranston. Er
hat versprochen, daß seine Zwillinge, die beiden Kerlchen, als
Cherubim herumtappen dürfen, und Sir John selbst würde einen
wunderbaren Satan abgeben.«
Athelstan hielt inne und
starrte an die rußgeschwärzte Holzdecke. Cranston! Vor drei
Tagen hatte Athelstan ihn besucht und in seiner großen Küche
gesessen, während die beiden Kerlchen quiekend vor Lachen
umhergetollt waren. Sie hatten sich an die Schwänze der großen
Irischen Wolfshunde gehängt, die Cranston in einem Anfall von Großzügigkeit
in sein Haus aufgenommen hatte. Dem Aufruhr zum Trotz war der Coroner,
befaßt mit der Kleinarbeit der städtischen Verwaltung, bester
Stimmung gewesen, aber er hatte doch, angeregt vom reichlich genossenen
Rotwein, eine düstere Prophezeiung abgegeben: Ein schrecklicher Mord,
irgendeine blutige Tat, werde sie schon bald heimsuchen. Athelstan konnte
ihm nur beipflichten; das Leben war ziemlich ruhig und angenehm gewesen,
seit er und Sir John vor einigen Monaten das Verbrechen im Rathaus
aufgegklärt hatten.
Athelstan wärmte sich
die Hände am Feuer. Er war froh, daß der Winter nahte. Die
Ernte war gut gewesen. Die Preise für Getreide und Brot waren
gesunken, und infolge dessen war die brodelnde Unzufriedenheit in der
Stadt ein wenig zurückgegangen. Die Gefahr des Aufruhrs war gewichen,
obwohl Athelstan wußte, daß sie sich nur verbarg wie ein
Saatkorn im Boden, das darauf wartete zu sprießen. Er seufzte; man
konnte nur hoffen, beten und sein Bestes tun.
»Komm, Bonaventura«,
sagte er. »Laß uns essen.«
Er nahm zwei große Schüsseln
vom Bord über dem Kamin, löffelte heiße, dampfende Hafergrütze
hinein und trug sie in die Speisekammer. Genau nach Benedictas Anweisungen
bestreute er die beiden Schüsseln mit Zimt und Zucker und kehrte dann
in die Küche zurück. Die eine Schüssel stellte er für
den stets hungrigen Kater vor den Herd. Athelstan segnete sich selbst und
Bonaventura, griff nach seinem Hornlöffel und fing an, die nahrhafte,
kochendheiße Hafergrütze zu essen. Er hatte seine Schüssel
eben leergegessen -das heißt, er ließ Bonaventura die letzten
Reste ausschlecken -, als er draußen Getöse
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