Tod auf der Themse
knacken.
»Gütiger Jesus«,
flüsterte er leise, »hab Erbarmen mit ihm und uns allen!«
Er schaute zu der wimmelnden Brückenzufahrt hinüber. »Aber
besonders mit ihm. Besonders mit ihm!«
Sechs
Athelstan klopfte an
Cranstons Haustür. Sofort erhob sich lautes Getöse - die
Kerlchen krähten, und Cranstons zwei großen Wolfshunde, Gog und
Magog, bellten wütend. Die Tür wurde von Cranstons zierlicher, hübscher
Frau, Lady Maude, geöffnet. Ihre Wangen und die Ärmel ihres
Kleides waren mit Mehl bestäubt. Auf den Armen trug sie ihre
geliebten Söhne, Francis und Stephen, deren Köpfchen inzwischen
mit daunenweichem Flaum bedeckt waren. Ihre runden, pausbackigen Gesichter
waren rosig und fröhlich. Hinter ihr hielt Boscombe, der Hausdiener,
die beiden großen Hunde fest, damit sie sich nicht auf Athelstan stürzten
und ihn zu Tode leckten.
»Bruder Athelstan«,
rief Lady Maude und lächelte erfreut.
Die beiden Kerlchen reckten
sich ihm entgegen, klatschten in die fetten Händchen und gurgelten
entzückt.
»Kommt herein, Bruder.«
Lady Maude trat einen Schritt zurück.
Athelstan schüttelte den
Kopf. »Ist Sir John nicht zu Hause?«
»Könnte sein, daß
er im ›Heiligen Lamm Gottes‹ ist«, antwortete Lady
Maude etwas bissig.
»Dadda.« Eines
der beiden Kerlchen streckte den Arm aus und deutete mit einem stumpfen,
schmutzigen Finger auf Athelstan. »Dadda.«
Athelstan umfaßte den
Finger und drückte ihn sanft. Das strahlende Baby rülpste.
»Ganz wie sein Vater«,
erklärte Lady Maude.
»Dadda.«
Athelstan hielt den kleinen
Finger fest und streichelte dem anderen Baby den Kopf. »Gott segne
euch beide, euch alle.« Er grinste. »Aber ich bin nicht euer
Dadda.«
»Dadda«,
wiederholte das Baby.
Athelstan deutete ein wenig
verlegen auf Lady Maude. »Und wer ist das?«
Das Kind starrte seine Mutter
und dann wieder Athelstan an.
»Nicht Dadda.«
Athelstan lachte. Er wolle
Sir John suchen gehen, sagte er, ließ das Durcheinander des Cranston’schen
Haushalts hinter sich und drängte sich durch die Menge. Beim »Heiligen
Lamm Gottes« angekommen, stellte er Philomel im Stall der Taverne
unter und betrat den Schankraum. Lady Maude hatte recht gehabt. Cranston
saß auf seinem Lieblingsplatz, einen Krug Ale vor sich, und starrte
wehmütig in den Garten hinaus.
»Guten Morgen, Sir
John.«
Voller Selbstmitleid sah der
Coroner seinen Secretarius an, der sich ihm gegenüber auf die Bank
setzte.
»Seid Ihr schlechter
Stimmung, Sir John?«
»Mörderisch,
verdammt!«
»Ihr meint die Sache in
Queen’s Hithe?«
»Nein. Es hat Einbrüche
in den Straßen um die Cheapside gegeben. Immer nach dem gleichen
Muster. Ein Haus wird in Abwesenheit der Bewohner ausgeraubt, aber der Täter
hinterläßt keine Spur des gewaltsamen Eindringens oder
Verschwindens. Letzte Nacht auch wieder, in der Catte Street. Ich war eben im Rathaus. Die Ratsherren haben
mir und dem Untersheriff Shawditch ordentlich die Hölle heiß
gemacht!« Cranston leerte seinen Krug. »Aber was führt
dich zu mir, Bruder?«
»Emma Roffel war bei
mir. Sie war entsetzt über das, was man der Leiche ihres Mannes
angetan hat, und über das Gerücht, daß er ermordet worden
sei. Sie ist jetzt bei seiner Beerdigung.«
»Zuerst befassen wir
uns mit meinen Problemen«, knurrte Cranston.
Er raffte seinen Mantel an
sich und stapfte hinaus auf die Cheapside. Er war so verdrossen, daß
er das übliche Geplänkel und gutmütige Gefrotzel, das ihm
entgegenschallte, gänzlich überhörte.
»Sir John, ist es denn
so ernst?« fragte Athelstan und hastete neben ihm her.
»Eines darfst du
niemals vergessen, Bruder. Der Rat der Stadt bezahlt mir mein Gehalt. Ich
bin zu allen freundlich, aber keinem verbunden. Manchmal glaube ich, sie wären
mich gern los.«
»Unsinn«,
protestierte Athelstan.
»Wir werden sehen, wir
werden sehen«, sagte der Coroner bedrückt. »Und wie geht’s
deiner verfluchten Pfarre?«
»Meiner verfluchten
Pfarre geht es ausgezeichnet. Die Leute bereiten sich auf das Stück
vor.« Athelstan hielt Cranston beim Ärmel fest. »Sir
John, wartet einen Augenblick.«
Unter dem dicken Biberhut sah
das pausbackige und sonst so fröhliche Gesicht des Coroners derart jämmerlich
aus, daß Athelstan sich auf die Lippen beißen mußte, um
sein Lächeln zu verbergen.
»Sir John, wollt Ihr
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