Tod auf der Themse
Luft aufgelöst, genau wie der
Schurke, der die Kaufmannshäuser ausraubt.«
Athelstan lächelte.
»Niemand kann sich in Luft auflösen, Sir John, und das gilt
auch für den mysteriösen Einbrecher in das Haus, das wir eben
besucht haben. Ich habe einen Verdacht. Nein, nein.« Er hob die
Hand, als Sir Johns Augen erwartungsvoll aufleuchteten. »Noch nicht.
Erstmal wollen wir uns mit Roffels Witwe beschäftigen. Aber bevor
wir das tun: Kennt Ihr die Schenke ›Zu den gekreuzten Schlüsseln‹
in der Nähe von Queen’s Hithe?«
»Ja. Der Wirt ist ein
Verwandter von Admiral Crawley. Ein alter Seefahrer. Warum? Was gibt’s
da, Bruder?«
Athelstan stützte die
Ellbogen auf den Tisch und ließ den Kopf auf die Hände sinken.
»Roffel pflegte dort Usquebaugh zu kaufen, ein schottisches Getränk;
er bewahrte es in einer Flasche auf, die er stets bei sich trug. Ist Euch
übrigens aufgefallen, Sir John, daß Crawleys Name immer wieder
auftaucht? Er konnte Roffel nicht ausstehen. Nur aufgrund seiner Aussage
wissen wir, daß jemand sich der God’s Bright Light genähert
hat. Er muß den Wortwechsel zwischen Bracklebury und Bernicia gehört
haben. Und jetzt gehört auch noch einem seiner Verwandten die
Schenke, wo Roffel den Usquebaugh kaufte, welcher, wie ich vermute, das
Arsen enthielt, an dem er gestorben ist.«
Cranston trank seinen Becher
leer und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Schauen wir uns diese
Schenke an.« Er legte den Zeigefinger an die fleischige Nase.
»Und dann besuchen wir noch jemand anderen - einen Mann, der weiß,
was am Fluß vor sich geht, weil er aus ihm seinen Lebensunterhalt
bezieht.«
Cranston legte ein paar Münzen
auf den Tisch, und sie verließen die Gassenschenke. Es fing an zu
regnen. Die Straßen waren leer, und so hielten sie sich im Schatten
der Häuser, um den dreckigen Pfützen auszuweichen und Schutz vor
dem Regen zu finden.
»Wir hätten die
Pferde mitnehmen sollen«, murrte Athelstan.
»Halt’s Maul und
bete«, gab Cranston launig zurück.
Die Taverne »Zu den
gekreuzten Schlüsseln«, eine lärmerfüllte
Seemannsschenke, duckte sich hinter die Lagerhäuser. Gäste aus
aller Herren Länder drängten sich in der Schankstube:
Portugiesen in bunten Gewändern, mit bärtigen, dunklen
Gesichtern und silbernen Ohrringen, stolze und streitbare Gascogner und
Hanseaten mit ernsten Mienen, schwitzend unter Pelzmützen und Mänteln.
Salziger Fischgeruch mischte sich mit seltsamen Kochdünsten. Cranston
leckte sich die Lippen, als ein Schankbursche eine Schüssel mit gewürfeltem
Rindfleisch unter einer dicken Zwiebeltunke an ihm vorbeitrug. Athelstan
steuerte den Coroner umsichtig durch die lärmende Menge auf den Wirt
zu, der rund und gedrungen wie ein Faß vor einem großen
Fischernetz an der Wand stand. Der Mann beobachtete unablässig den
Schankraum und brüllte seinen verschwitzten Knechten Befehle zu. An
seinem wiegenden Gang und an den Augenfalten, die durch jahrelanges Spähen
in Sonne und beißendem Wind entstanden waren, erkannte Athelstan, daß
er sein Leben auf See zugebracht hatte. Mit seinen apfelroten Wangen und
dem kahlen Schädel sah er recht munter aus, und seinem Mund entströmte
eine Kette farbenfroher Flüche, die sogar Cranston zum Lachen
brachten.
»Ihr seid der Eigentümer?«
fragte Cranston, als er vor ihm stand.
»Nein, ich bin eine
gottverdammte Seejungfrau!« zischte der Kerl aus dem Mundwinkel, während
er sich zur Küche wandte, um einen Befehl hineinzubrüllen.
»John Cranston ist mein
Name, und das ist mein Sekretär, Bruder Athelstan.«
Der Coroner streckte seine
fette Pranke aus. Der Wirt ergriff sie und lächelte.
»Von Euch habe ich
schon gehört. Ich bin Richard Crawley, einst Herr über ein
Schiff, jetzt Beherrscher dessen, was Ihr hier seht. Ich kann mir denken,
warum Ihr hier seid: Rottels Tod, Gott verdamme ihn!«
»Ihr mochtet ihn nicht?«
»Genau wie mein Vetter
Sir Jacob habe ich Roffel bis aufs Mark gehaßt. Er war ein übler
Halunke, und ich hoffe, er kriegt, was er so reichlich verdient: Er soll
in der Hölle verrotten…« Plötzlich brach er ab und
schrie einen Küchenjungen an. »Bei den Titten einer
Seejungfrau! Halte den Teller gerade! Du krängst ja wie ein
kenterndes Schiff!«
»Warum habt Ihr ihn
gehaßt?«
»Warum nicht? Aus
demselben Grund wie Sir Jacob. Ich hatte
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