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Tod auf der Themse

Tod auf der Themse

Titel: Tod auf der Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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und eilte weiter. Sir John hielt einen
     Fackelburschen an und bezahlte ihn, damit er sie zu Mistress Roffels Haus
     führte, einem schmalen, dreistöckigen Gebäude zwischen
     einem Posamentenladen und einem Eisenwarenhändler. Die Fensterläden
     waren alle geschlossen und zum Zeichen der Trauer mit schwarzen Tüchern
     verhängt. Athelstan hob den eisernen Türklopfer in Form eines
     Schiffsankers und ließ ihn schwer herabfallen.

 
    Sieben
    Emma Roffel und ihre Zofe
     Tabitha empfingen Sir John und Bruder Athelstan in ihrer Wohnstube im
     Erdgeschoß. Das Zimmer war nicht weiter auffällig. Frische
     Binsen bedeckten den Boden, aber die Wände waren nackt und Tisch und
     Stühle alt und ziemlich mitgenommen. Emma Roffel sah Cranstons
     Blicke.
    »Nicht das Haus eines
     erfolgreichen Seefahrers, wie, Sir John?« Sie lachte verbittert.
     »Kapitän Roffel war geizig. Und seine Kreatur Bernicia mit
     ihrer hübschen Fratze und dem strammen Hintern habt Ihr wohl
     kennengelernt?«
    Athelstan starrte die Frau
     mit dem verhärteten Gesicht an, die den Tod ihres Mannes so kalt und
     unberührt hinnahm, und bewunderte ihre Ehrlichkeit. Er erinnerte sich
     an eine Maxime, die er einmal gehört hatte: »Das Gegenteil der
     Liebe ist nicht der Haß, sondern die Gleichgültigkeit.«
    »War es immer so?«
     fragte er.
    Da stiegen der Frau die Tränen
     in die Augen.
    »Mistress, ich wollte
     Euch nicht betrüben.«
    Emma Roffel schaute über
     seinen Kopf hinweg und bemühte sich, keine Miene zu verziehen.
    »Das tut Ihr auch
     nicht.« Ein gehetzter, abwesender Ausdruck trat in ihre Augen, als
     sie im Geiste Visionen heraufbeschwor, Gespenster der Vergangenheit.
     »Roffel war einmal Priester, wißt Ihr, Kurat in der
     Pfarrgemeinde St. Olave in Leith bei Edinburgh.
    Mein Vater hatte ein
     Fischerboot, und Roffel liebte das Meer. Manchmal fuhr er mit meinem Vater
     zum Fischen hinaus.«
    »Habt Ihr ihn je
     begleitet?«
    Emma lächelte finster.
     »Natürlich nicht. Ich fürchte die See. Sie hat zu viele
     gute Männer verschluckt.«
    »Was geschah weiter?«
     fragte Athelstan. Wie alle Priester war er fasziniert von jenen Amtsbrüdern,
     die um der Liebe eines Weibes willen ihr Amt aufgaben.
    Emma seufzte. »William
     konnte die Hände nicht bei sich behalten. Es gab zahllose Gerüchte
     über seine Beziehungen zu gewissen Witwen in der Stadt. Schließlich
     griff der Erzdiakon ein, aber da waren William und ich uns schon begegnet
     und hatten uns heftig ineinander verliebt.« Sie wischte sich mit dem
     Ärmel über die Augen. »Der Erzdiakon raste vor Wut, und
     mein Vater drohte mit Gewalt, und so flohen wir über die Grenze, erst
     nach Hull, dann weiter nach London.« Sie fuhr sich mit der Zunge
     über die Lippen. »Am Anfang glaubte ich, wir wären im
     Paradies. William erwies sich bald als vorzüglicher Seemann -kundig,
     tüchtig und von strenger Disziplin.« Sie lachte säuerlich.
     »Aber dann begegnete er Henry Ospring. Eine Freundschaft, die in der
     Hölle gestiftet ward. Ospring gab ihm Geld und mietete ein kleines
     Schiff, und William wurde Pirat. Und Sir Henry machte ihn auch mit den
     Fleischtöpfen der Stadt bekannt. Ich war schwanger, als ich erfuhr,
     daß er …« Sie verzog das Gesicht. »Ich erfuhr, daß
     er eine leidenschaftliche Vorliebe für die Hintern junger Burschen
     hatte.« Sie wiegte sich leicht auf ihrem Stuhl. »Ich verlor
     das Kind. Ich verlor auch William, und William verlor mich. Für uns
     beide begann der Abstieg in die Hölle. Wir waren zwei Fremde. William
     widmete sich seinem Gewerbe. Er hatte teuflisches Glück - bald war er
     Zweiter, dann Erster Maat und schließlich Kapitän.«
    »Ihr habt ihn gehaßt?«
     fragte Cranston.
    Ihr Blick richtete sich
     blitzschnell auf ihn. »Gehaßt, Sir John? Gehaßt? Kalt
     und leer habe ich mich gefühlt, als ob ich jemanden in einem Traum
     beobachtete. Er ließ mich allein, und ich vergalt es ihm mit
     gleicher Münze.«
    »Hat er vor jener
     letzten Reise von etwas Außergewöhnlichem gesprochen, das
     geschehen würde?« fragte Athelstan.
    »Nein, mit keinem Wort.«
    »Aber Ihr wißt,
     daß er ermordet wurde?« fragte Athelstan weiter.
    »Ja, ich glaube, das
     ist so, Bruder. Wenn Ihr mich deshalb anklagen wollt, dann tut es, aber
     bedenkt, daß ich hier zu Hause war. Im Grunde war es mir völlig
     gleichgültig, ob er lebte oder tot war.« Sie zuckte die
     Achseln. »Es war nur eine Frage der Zeit, wann jemand das Messer
    

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