Tod auf der Themse
und eilte weiter. Sir John hielt einen
Fackelburschen an und bezahlte ihn, damit er sie zu Mistress Roffels Haus
führte, einem schmalen, dreistöckigen Gebäude zwischen
einem Posamentenladen und einem Eisenwarenhändler. Die Fensterläden
waren alle geschlossen und zum Zeichen der Trauer mit schwarzen Tüchern
verhängt. Athelstan hob den eisernen Türklopfer in Form eines
Schiffsankers und ließ ihn schwer herabfallen.
Sieben
Emma Roffel und ihre Zofe
Tabitha empfingen Sir John und Bruder Athelstan in ihrer Wohnstube im
Erdgeschoß. Das Zimmer war nicht weiter auffällig. Frische
Binsen bedeckten den Boden, aber die Wände waren nackt und Tisch und
Stühle alt und ziemlich mitgenommen. Emma Roffel sah Cranstons
Blicke.
»Nicht das Haus eines
erfolgreichen Seefahrers, wie, Sir John?« Sie lachte verbittert.
»Kapitän Roffel war geizig. Und seine Kreatur Bernicia mit
ihrer hübschen Fratze und dem strammen Hintern habt Ihr wohl
kennengelernt?«
Athelstan starrte die Frau
mit dem verhärteten Gesicht an, die den Tod ihres Mannes so kalt und
unberührt hinnahm, und bewunderte ihre Ehrlichkeit. Er erinnerte sich
an eine Maxime, die er einmal gehört hatte: »Das Gegenteil der
Liebe ist nicht der Haß, sondern die Gleichgültigkeit.«
»War es immer so?«
fragte er.
Da stiegen der Frau die Tränen
in die Augen.
»Mistress, ich wollte
Euch nicht betrüben.«
Emma Roffel schaute über
seinen Kopf hinweg und bemühte sich, keine Miene zu verziehen.
»Das tut Ihr auch
nicht.« Ein gehetzter, abwesender Ausdruck trat in ihre Augen, als
sie im Geiste Visionen heraufbeschwor, Gespenster der Vergangenheit.
»Roffel war einmal Priester, wißt Ihr, Kurat in der
Pfarrgemeinde St. Olave in Leith bei Edinburgh.
Mein Vater hatte ein
Fischerboot, und Roffel liebte das Meer. Manchmal fuhr er mit meinem Vater
zum Fischen hinaus.«
»Habt Ihr ihn je
begleitet?«
Emma lächelte finster.
»Natürlich nicht. Ich fürchte die See. Sie hat zu viele
gute Männer verschluckt.«
»Was geschah weiter?«
fragte Athelstan. Wie alle Priester war er fasziniert von jenen Amtsbrüdern,
die um der Liebe eines Weibes willen ihr Amt aufgaben.
Emma seufzte. »William
konnte die Hände nicht bei sich behalten. Es gab zahllose Gerüchte
über seine Beziehungen zu gewissen Witwen in der Stadt. Schließlich
griff der Erzdiakon ein, aber da waren William und ich uns schon begegnet
und hatten uns heftig ineinander verliebt.« Sie wischte sich mit dem
Ärmel über die Augen. »Der Erzdiakon raste vor Wut, und
mein Vater drohte mit Gewalt, und so flohen wir über die Grenze, erst
nach Hull, dann weiter nach London.« Sie fuhr sich mit der Zunge
über die Lippen. »Am Anfang glaubte ich, wir wären im
Paradies. William erwies sich bald als vorzüglicher Seemann -kundig,
tüchtig und von strenger Disziplin.« Sie lachte säuerlich.
»Aber dann begegnete er Henry Ospring. Eine Freundschaft, die in der
Hölle gestiftet ward. Ospring gab ihm Geld und mietete ein kleines
Schiff, und William wurde Pirat. Und Sir Henry machte ihn auch mit den
Fleischtöpfen der Stadt bekannt. Ich war schwanger, als ich erfuhr,
daß er …« Sie verzog das Gesicht. »Ich erfuhr, daß
er eine leidenschaftliche Vorliebe für die Hintern junger Burschen
hatte.« Sie wiegte sich leicht auf ihrem Stuhl. »Ich verlor
das Kind. Ich verlor auch William, und William verlor mich. Für uns
beide begann der Abstieg in die Hölle. Wir waren zwei Fremde. William
widmete sich seinem Gewerbe. Er hatte teuflisches Glück - bald war er
Zweiter, dann Erster Maat und schließlich Kapitän.«
»Ihr habt ihn gehaßt?«
fragte Cranston.
Ihr Blick richtete sich
blitzschnell auf ihn. »Gehaßt, Sir John? Gehaßt? Kalt
und leer habe ich mich gefühlt, als ob ich jemanden in einem Traum
beobachtete. Er ließ mich allein, und ich vergalt es ihm mit
gleicher Münze.«
»Hat er vor jener
letzten Reise von etwas Außergewöhnlichem gesprochen, das
geschehen würde?« fragte Athelstan.
»Nein, mit keinem Wort.«
»Aber Ihr wißt,
daß er ermordet wurde?« fragte Athelstan weiter.
»Ja, ich glaube, das
ist so, Bruder. Wenn Ihr mich deshalb anklagen wollt, dann tut es, aber
bedenkt, daß ich hier zu Hause war. Im Grunde war es mir völlig
gleichgültig, ob er lebte oder tot war.« Sie zuckte die
Achseln. »Es war nur eine Frage der Zeit, wann jemand das Messer
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