Tod auf der Themse
Fehlgeburt vor sechzehn oder siebzehn Jahren.«
»Ist sie gut zu Euch?«
Tabithas Gesicht verhärtete
sich. »Mistress Roffel ist genauso roh, wie ihr Mann es immer war.
Sie haben einander wahrlich verdient. Jetzt hat sie die Absicht, nach
Leith zurückzukehren. Ich bin froh, wenn ich sie von hinten sehe.«
Bei dem giftigen Ton der Frau
fuhr Athelstan zurück. Er sah zunächst zu und griff dann helfend
ein, als sie eine salzfleckige Satteltasche aus Leder hinter einer Kiste
hervorzerrte.
»Ich habe sie dorthin
geworfen, nachdem ich die Flasche herausgenommen hatte. Sollen wir sie mit
hinunter nehmen?«
Athelstan warf sich die
Doppeltasche über die Schulter, und sie kehrten in die Wohnstube zurück.
Cranston war inzwischen bei seinem zweiten Becher Rotwein und schilderte
der gelangweilt, aber höflich zuhörenden Mistress Roffel seine
eigenen, viele Jahre zurückliegenden Großtaten auf dem Meer.
»Habt Ihr gefunden,
wonach Ihr suchtet, Bruder?« fiel sie dem Coroner ins Wort.
Athelstan legte die
Ledertaschen auf den Boden, löste die Schnallen und kippte den Inhalt
aus. Es war nicht viel: ein Paar wollene Kniestrümpf'e, eine Nadel
und etwas Zwirn, ein Federkiel und ein Tintenhorn, ein paar unbenutzte
Fetzen Pergament, ein Hemd, zwei verkratzte und abgetragene Ringe, eine
Christophorus-Medaille, ein kleiner Kompaß und ein Stundenbuch in
einem Einband aus Kalbsleder. Athelstan nahm das Buch zur Hand, öffnete
den Verschluß und blätterte in den vergilbten Seiten.
»Das ganze Vermächtnis
seines Lebens als Priester«, sagte Emma Roffel. »Er nahm es
überallhin mit.«
»Und doch war er kein
Mann des Gebets«, stellte Athelstan fest. »Ebensowenig wie
Ihr. Für Pfarrer Stephen in St. Mary Magdalene seid Ihr eine Fremde.«
Mistress Roffel wollte etwas
erwidern, als Cranston rülpste und dann laut zu schnarchen begann.
Athelstan schaute zu seinem fetten Freund hinüber. Der Coroner hing
schlaff in seinem Stuhl, das Kinn aul der Brust, die Augen geschlossen.
»Ist Sir John nicht
wohl?« fragte Emma Roffel.
»Oh doch«,
antwortete Athelstan säuerlich. »Er wird schlafen wie ein Säugling,
und wenn er aufwacht, wird er nach Erfrischungen brüllen.«
Der Ordensbruder blätterte
in dem Buch und sah, daß die leeren Seiten am Ende mit seltsamen
Eintragungen beschrieben worden waren, Abrechnungen womöglich - es
waren Geldsummen, manchmal gefolgt von dem Vermerk »in S.L.«.
»Was ist das?«
fragte Athelstan.
»Weiß der Himmel,
Bruder. Mein Mann war ein großer Geheimniskrämer. Ich bin immer
noch dabei, die Goldschmiede an der Cheapside aufzusuchen, um
festzustellen, wo er sein Geld angelegt hat.«
Athelstans Blick verharrte
bei einer Zeichnung:
Eine gewundene Linie zog sich
quer über das Blatt, und daran entlang waren sorgsam kleine Kreuze
eingezeichnet. Die Zeichnung sah neu aus. Athelstan zeigte sie Mistress
Roffel, aber sie erklärte, ihr sage das alles gar nichts. Seufzend
legte Athelstan das Buch zu den übrigen Besitztümern.
»Eure Zofe hat erzählt,
daß Ihr die Stadt verlassen wollt«, sagte er.
»Meine Zofe weiß
mehr, als gut für sie ist«, gab Emma Roffel zurück.
»Aber es stimmt schon; wenn diese Angelegenheit vorüber ist,
gedenke ich, meinen Besitz an mich zu nehmen - was immer mein Mann mir an
Geld hinterlassen haben mag - und nach Schottland zurückzukehren.«
»Haßt Ihr London
so sehr?«
Alle drehten sich überrascht
um und sahen, daß Cranston wieder wach war. Er blinzelte und
schmatzte.
»Haßt Ihr London,
Mistress?« wiederholte der Coroner.
»Es ist voll bitterer
Erinnerungen. Besser, ich vergesse die Vergangenheit.«
»Ihr wißt nichts,
was zur Lösung all dieser Rätsel beitragen könnte?«
fragte Cranston.
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber Ihr, Sir John, wißt Ihr denn, wer meinen Mann ermordet
und seinen Leichnam geschändet hat?«
Cranston kam schwerfällig
auf die Beine und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er
leise. »Doch wenn ich es herausfinde, dann seid Ihr die erste, die
es erfährt, das könnt Ihr mir glauben.«
Sie verabschiedeten sich und
verließen das Haus. Beide schraken zusammen, als der Menschenfischer
mit zwei seiner Phantome im Schlepptau lautlos aus dem Schatten
hervorglitt.
»Satansarsch!«
fluchte Cranston. »Was zum Teufel soll denn das - sich so an brave
Christenmenschen heranzuschleichen?«
»Sir John, Ihr habt
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