Tod auf der Themse
einen Halbbruder«, fuhr der
Wirt fort und senkte die Stimme. »Er war ein guter Seemann; er fuhr
im Tuchhandel zwischen den Cinque Ports und Dordrecht. Sein Schiff ging
mit Mann und Maus unter. Roffel kreuzte zu jener Zeit in der Gegend. Er
gab den Franzosen die Schuld. Ich gab sie ihm.«
»Aber Ihr habt Geschäfte
mit ihm gemacht?«
»Freilich, verdammt -
und ihn teuer dafür bezahlen lassen. Er war Schotte und liebte seinen
Usquebaugh. Ich kaufte ihn im Faß aus Leith in Schottland und
verkaufte ihn zum dreifachen Preis an diesen miesen Dreckskerl. Vor dem
Auslaufen seines Schiffes füllte er immer seine Flasche damit und wußte
stets bis auf den Tropfen genau, wieviel er noch hatte.«
»Habt Ihr noch etwas
davon?«
»Oh ja«, sagte
Richard. »Eines Tages werde ich es selbst austrinken. Schluck für
Schluck trinke ich auf seine schwarze Seele.«
»Können wir das Faß
sehen?« fragte Athelstan.
Der Wirt zuckte die Achseln,
ging nach hinten in die Speisekammer und
kam mit einem Fäßchen zurück, das einen Durchmesser von
etwa einen Fuß hatte. Am unteren Rand saß ein kleiner
Zapfhahn. Er nahm einen verbeulten Zinnbecher vom Bord, ließ ein
wenig von dem Getränk hineinlaufen und reichte Cranston den Becher.
»Kostet!«
Sir John tat, wie geheißen,
und leerte den Becher in einem Zug. Der Wirt grinste boshaft.
»Heiliges Kanonenrohr!«
rief Cranston. Er lief violett an und hustete. »Bei den Eiern des
Satans! Was zum Teufel ist denn das?«
»Usquebaugh, Sir John.
Schmeckt er Euch?«
Sir John schmatzte. »Scharf!«
sagte er. »Anfangs stark, aber den Bauch wärmt er jedenfalls.
Wie viele Fässer habt Ihr davon?«
»Nur dieses eine.«
»Und bevor er seine
letzte Reise antrat, füllte Roffel seine Flasche eigenhändig?«
»Oh ja, natürlich.
Und dann trank er gleich etwas davon, einen kleinen Becher.«
Athelstan, der mit halbem
Auge zusah, wie ein portugiesischer Seemann seinen zahmen Affen fütterte,
schaute den Wirt plötzlich überrascht an.
»Er hat hier etwas
davon getrunken?«
»Ja.« Der Wirt
drehte sich um und spähte wütend in die lärmende Küche.
»Sir John, wenn Ihr weiter keine Fragen habt - ich habe ein Geschäft
zu führen.«
Cranston bedankte sich
knurrend, und sie verließen die Taverne. Gottlob hatte es aufgehört
zu regnen. Der Coroner packte Athelstan bei der Schulter.
»Der Usquebaugh kann es
nicht gewesen sein, nicht wahr, Bruder? Oder die Flasche?«
Athelstan schüttelte den
Kopf. »Nein, nicht, wenn Roffel hier daraus getrunken hat,
ohne eine üble Wirkung zu verspüren.« Er stapfte neben dem
Coroner die regennasse Straße hinauf.
»Ist das nicht die
falsche Richtung, Sir John? Wir wollten doch zu Roffels Haus.«
»Nein, da ist noch
jemand anderes.« Cranston blieb stehen und nahm einen kräftigen
Schluck aus seinem Weinschlauch. »Wie ich schon sagte, Bruder:
jemand, der alles beobachtet, was am Fluß so vor sich geht.«
An der Ecke der Gasse blieb
der Coroner plötzlich wieder stehen und drehte sich unvermittelt um.
Die beiden Gestalten am anderen Ende der Gasse versuchten gar nicht, sich
zu verstecken. Athelstan folgte dem Blick des Coroners.
»Wer ist das, Sir John?«
Angestrengt spähte er die Gasse entlang. In ihren braunen Gewändern
sahen die Gestalten wie Benediktinermönche aus. »Folgen die
uns?«
»Sie waren fast die
ganze Zeit dicht hinter uns«, sagte Cranston leise. »Lassen
wir sie noch eine Weile in Ruhe.«
Sie gingen weiter, über
die Thames Street und hinunter in Richtung Vintry, und dann nach rechts,
vorbei an Lagerhäusern und über Queen’s Hithe auf Dowgate
zu. Dichter, schwerer Nebel brodelte über dem Fluß und verbarg
die Schiffe, die dort vor Anker lagen.
»Wohin gehen wir denn?«
wollte Athelstan wissen.
»Geduld, lieber Bruder.
Geduld!«
Nun waren sie auf dem Kai.
Cranston spähte in die dunklen Ecken und rief plötzlich: »Komm
heraus!«
Eine zerlumpte, verhüllte
Gestalt trat schlurfend hervor. Als der Mann näherkam, sah Athelstan
die Stoffetzen, die um sein Gesicht und seine Hände gewickelt waren,
und bemühte sich, seinen Ekel zu unterdrücken. Der Mann bewegte
sich schwerfällig und läutete dabei eine kleine Glocke.
»Unrein!« krächzte
die gespenstische Gestalt. »Unrein!«
»Ach, scheiß
darauf«, gab Cranston zurück. »Ich glaube nicht, daß
ich mir bei dir die Lepra hole.«
Der Mann
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