Tod auf der Themse
wir noch nicht.«
»Doch, ich glaube, wir
wissen zumindest ersteres«, antwortete Athelstan.
Er zog die roh gezeichnete
Seekarte hervor, die Aveline ihm am Morgen gegeben hatte, und trug
Cranston in knappen Worten seine eigenen Schlußfolgerungen vor.
Cranston nahm einen Schluck
aus dem Becher, den der Wirt ihm hingestellt hatte. »Demnach hätte
Ospring Roffel also angewiesen, das Fischerboot aufzubringen und zu
versenken. Aber warum? Soll das heißen, Ospring und Roffel waren
Verräter?«
»Das hängt davon
ab«, sagte Athelstan, »was sich auf diesem Fischerboot befand.
Um das herauszufinden, habe ich Benedicta mit einer Bittschrift in die
St.-Paul’s-Kathedrale geschickt. Nur unsere Freunde, die Revisoren,
können uns diese Frage beantworten.«
»Es gibt aber noch
andere, die wir befragen müssen«, sagte Cranston. »Deshalb
habe ich alle Beteiligten - Admiral Sir Jacob Crawley, die anderen
Offiziere und Mistress Roffel selbstverständlich - aufgefordert,
gleich nach Mittag zu uns ins Rathaus zu kommen. Dem Zahlmeister Coffrey
habe ich aufgetragen, das Logbuch des Schiffes mitzubringen.«
Cranston schmatzte und streckte sich. »Bis dahin sollten wir es uns
hier gemütlich machen. Was können wir sonst tun?«
Athelstan schaute verzweifelt
auf die geleerten Weinbecher.
»Da wäre schon
noch was, Sir John: dieser Einbrecher. Ich glaube, wir können ihm
eine Falle stellen.«
Cranston ließ seinen
Becher dröhnend auf den Tisch niederfahren.
»Fragt mich jetzt
nicht, wie.« Athelstan lächelte. »Ich kenne Euch, Sir
John - Ihr habt ein großes Herz, aber eine lose Zunge. Ich möchte,
daß einer Eurer mächtigen Kaufmannsfreunde für zwei, drei
Tage verreist. Er soll seine Familie mitnehmen und dafür sorgen, daß
es öffentlich bekannt wird.«
Cranston starrte zu den
Deckenbalken hinauf. »Da gibt es keinen«, sagte er. »Oh,
doch - mein guter Arzt Theobald de Troyes; der hat ein Anwesen in Suffolk,
da könnte er hin. Vielleicht kann ich ihn überreden.«
»Tut es gleich«,
drängte Athelstan; er wollte einen möglichst großen
Abstand zwischen Cranston und den nächsten Weinbecher
bringen. »Aber sagt ihm, er soll erst in zwei oder drei Tagen
abreisen.«
»Und wenn er nicht
will?«
Athelstan zuckte die Achseln.
»Dann müssen wir jemand anderen suchen.«
Maulend stapfte Cranston zur
Tür hinaus. Athelstan lehnte sich seufzend zurück, schloß
die Augen und fragte sich, ob Benedicta die Nachricht inzwischen überbracht
hatte.
»Pater, wollt Ihr etwas
essen oder trinken?«
Athelstan fuhr hoch und
schaute in das besorgte Gesicht der Wirtin.
»Nein, danke.« Er
lächelte. »Ich glaube, Sir John hat sich für uns beide
bereits wacker geschlagen.«
Es machte den Ordensbruder
befangen, allein in der Schenke zu sitzen, und so ging er hinaus in die
Cheapside und zur Kirche von St. Mary Le Bow. Eine Zeitlang kniete er vor
dem Altar und sprach ein paar Gebete; dann bewunderte er die schönen
bunten Glasfenster im Kirchenschiff. Die leuchtenden Farben des kunstvoll
zusammengefügten Glases erfüllten ihn immer wieder mit neuem
Staunen. In seiner Darstellung des auferstandenen, verklärten
Christus, der die Hölle bekämpfte und die Seelen befreite, die
seines Kommens geharrt hatten, war es dem Künstler gelungen, die Verzückung
in den Gesichtern der Heiligen und die Wut der schwarzen Dämonen, die
hinter der Feuerwand hervorglotzten, auf das kundigste einzufangen.
Cranston hatte versprochen, daß er für St. Erconwald ein ähnliches
Fenster stiften würde, sobald es das Wetter gestattete.
Die Turmuhr schlug die
Stunde, und Athelstan machte sich langsam auf den Rückweg. Er hatte
gehofft, Sir John dort anzutreffen, doch statt dessen saßen da die
beiden Revisoren und lächelten in schöner Eintracht, fast als säßen
sie seit dem vergangenen Abend so da.
»Wir haben Euer
Ersuchen bekommen, Bruder Athelstan.«
»Ich wünschte,
alle meine Gebete würden so schnell erhört«, antwortete
der Ordensbruder.
»Und wo steckt der
vortreffliche Coroner?«
»Er hat etwas anderes
zu erledigen.«
»Und was, guter
Priester, habt Ihr uns zu sagen?«
Athelstan wiederholte die
Schlußfolgerungen, die er nach seinem Gespräch mit Lady Aveline
gezogen hatte, und zeigte den beiden Revisoren die rohe Zeichnung. Deren Lächeln
verflog sofort.
»Sehr klug«,
stellte Peter, der größere
Weitere Kostenlose Bücher