Tod Auf Der Warteliste
gewarnt.
»Galvano hat einen sitzen«, sagte Laura in der Küche, als sie neue Gläser aus dem Schrank nahm und Proteo den Weißwein entkorkte. »Er hat schon fast eine Flasche Vitovska getrunken.«
»Das kann ja heiter werden«, sagte Laurenti. Er kannte die zynischen Anfälle des Alten. Manchmal konnte er sich darüber vor Lachen nicht halten, manchmal aber ärgerte er sich, wenn Galvano auch ihn damit bloßstellte. Rücksicht war dem Gerichtsmediziner ein Fremdwort. Im Moment plauderte er mit Ramses, den er wie alle anderen duzte.
Plötzlich durchfuhr das Gelächter des Alten das ganze Haus. »Ramses«, brüllte er. »Habt ihr das schon mal gehört? Ramses heißt er!«
»Wirklich?« rief Proteo aus der Küche heraus und dachte dankbar daran, daß er endlich nicht mehr der einzige war, über dessen Namen Witze gemacht wurden. Nur weil er hieß wie der Grottenolm, das blinde weiße Tierchen, das seit hundert Millionen Jahren in den Tiefen des Karsts lebte.
»Und was machst du beruflich?«
»Ich schreibe Bücher«, log Ramses.
»Ach, Schriftsteller«, sagte Galvano. »Ja, ich sollte mein Leben auch einmal aufschreiben. Viel Stoff, mußt du wissen. Ich habe schon alles gesehen, was es gibt an menschlichen Abgründen, und manchmal auch mehr. Aber ich hab kaum Zeit, viel zuviel um die Ohren. Falls es dich interessiert, erzähle ich’s dir mal irgendwann. Die Laurentis haben meine Telefonnummer.« Und da Ramses höflich schwieg, fuhr der Alte unbeirrt fort. »Was hat dich ausgerechnet nach Triest verschlagen?«
Darauf war er vorbereitet. »Meine Tochter besucht das College in Duino. Und ich wollte in der Nähe sein. Sie hat ihre Mutter verloren, da ist es besser, wenn sie weiß, daß sie nicht alleine ist.« Eine ideale Lüge. Schweres menschliches Schicksal liefert Projektionsflächen und setzt sofort das gesamte Vorstellungsvermögen des Gegenübers in Gang. So sehr, daß nie jemand weiter nachfragt, denn es könnte unangenehm werden – für jeden der Beteiligten.
Plötzlich sah Galvano eine Schürfwunde an Ramses’ Hals. »Was hast du denn da?« fragte der Alte und stürzte sich wie ein Vampir auf ihn. »Setz dich, damit ich das anschauen kann«, befahl er, und Ramses blieb nichts übrig, als zu gehorchen. »Laurenti, Alkohol«, rief Galvano zur Küche. »Ich brauch Alkohol.«
»Kommt schon«, sagte Proteo und brachte die zweite Flasche Vitovska. »Ganz schön durstig heute, Doktor.«
»Nicht doch. Den aus der Hausapotheke, Tupfer oder Watte und ein Stück Pflaster!«
Ramses saß da im Haus dieser fremden Leute, einer attraktiven Frau, die mit einem Polizeikommissar verheiratet war, und unter der Fuchtel eines autoritären, angetrunkenen Zweiundachtzigjährigen, von dem er inzwischen wußte, daß er sein Leben lang Leichen zerschnitten hatte. Dabei hatte er noch nicht einmal selbst die Wunde gesehen, an der Galvano herumfingerte.
»Was ist denn los?« fragte Laura besorgt.
Ramses warf ihr einen hilflosen Blick zu. »Nichts Besonderes, vorhin im Garten...« Der Arzt hatte eine widerliche Fahne.
»Was heißt hier nichts Besonderes«, unterbrach ihn Galvano. »So etwas muß gleich behandelt werden.«
»Es war nur ein Ast«, sagte Ramses, als sie nach der Versorgung der Wunde endlich alle vor dem Kamin standen und mit frisch gefüllten Gläsern anstießen.
»Kennst du diesen Wein?« fragte der Arzt. »Eine alte Rebe vom Karst. Gibt’s nur hier und wächst direkt überm Meer. Bibc ist ein netter Winzer oben im Dorf.«
»Ich weiß«, sagte Ramses, dem der Alte allmählich auf die Nerven ging.
»Was gibt’s Neues vom Toten des deutschen Kanzlers?« Galvano wandte sich an Laurenti. »Wißt ihr endlich, wer er ist?«
»Noch nicht.« Laurenti legte zwei Scheite Holz in den Kamin. »Ihre Nachfolgerin tippt auf einen Südosteuropäer.«
Der Alte winkte barsch ab. »Ach die! Was weiß die schon? Frauen haben in der Gerichtsmedizin nichts zu suchen! Soll ich ihn mir mal anschauen?«
»Sie müssen wissen«, sagte Laurenti zu Ramses, »Galvano ist zwar über achtzig, aber er würde am liebsten so lange weiterarbeiten, bis er eines Tages auf einer Bahre neben der Kundschaft liegt und keinen Mucks mehr tut. Natürlich nicht, ohne sich zuvor einen Zettel an die große Zehe zu binden, auf den er einen schmutzigen Witz geschrieben hat. Der Mann ist kaum zu halten, wenn es um Leichen geht. Ein Nekrophiler! Jetzt ist er sauer, weil die Arbeit von einer jungen Frau erledigt wird, die seiner Meinung nach in die
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