Tod auf Ormond Hall
meinem Nachttisch gefunden habe, nicht zu kennen? Aber sie gehörte Danielle. Du musst sie also bei ihr gesehen haben."
"Als wenn das so wichtig wäre", meinte Kevin. "Darum geht es jetzt auch nicht. Ich kann es nicht dulden, dass du in Mister N evins einen Freund siehst. Wir ..."
"Ich frage mich allmählich, wie oft du mich schon belogen hast", unterbrach ihn Michelle. "Kann ich dir überhaupt vertrauen? In Athen hielt ich dich für den ehrlichsten Menschen der Welt, aber jetzt muss ich nach und nach erfahren, dass du mir nicht nur eine Menge verschwiegen hast, sondern mich auch noch belügst."
"Du nennst mich einen Lügner?" Kevins Gesicht lief rot an. "Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen, Michelle? Wenn ich dir die Wahrheit gesagt hätte, hätte ich auch von Danielle sprechen müssen und das wollte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht." Er atmete schwer. "Bitte, versteh doch, dass diese ganze furchtbare Geschichte noch immer auf mir lastet", fuhr er versöhnlich fort und streckte die Hand nach ihr aus. "Vergessen wir, was heute vorgefallen ist. Du wirst Roger Nevins nicht wiedersehen und wir verlieren kein Wort mehr darüber."
"Du machst es dir verdammt leicht", bemerkte seine Verlobte. "Ich werde Mister Nevins wiedersehen." Sie hob den Kopf. "Wenn du möchtest, dass ich Ormond Hall verlasse, werde ich morgen abreisen." Erschrocken machte sich Michelle bewusst, dass sie tatsächlich dazu bereit war. Aber ich liebe ihn doch, dachte sie verzwe ifelt. Was ist nur mit uns geschehen?
Kevin riss sie an sich. "Wie kannst du nur so etwas Furchtbares sagen?“, fragte er. "Wir lieben uns doch." Obwohl sie sich dag egen sträubte, glitt seine Hand in ihren Ausschnitt. "Niemand auf der Welt bedeutet mir soviel wie du, Darling. Ich habe nur Angst, noch einmal eine Frau an diesen Nevins zu verlieren."
Michelle schlüpfte aus seinen Armen. "Dann denk einmal da rüber nach, wie viel du heute kaputtgemacht hast", bat sie. "Ich gehe auf mein Zimmer. Ich bin zu müde, um das Dinner mit dir und deinen Eltern einzunehmen. Bitte entschuldige mich bei ihnen." Sie wandte sich der Tür zu. "Gute Nacht." Bevor er ihr noch antworten konnte, hatte sie bereits das Zimmer verlassen.
Michelle eilte durch die Halle. Sie war froh, niemanden zu b egegnen. Erst auf der Treppe wagte sie es, sich umzusehen. Kevin stand auf der Schwelle seines Zimmers und blickte ihr nach. Er wirkte so verloren, dass sie am liebsten umgekehrt wäre und ihm gesagt hätte, es sei alles wieder gut. Rasch wandte sie sich ab und stieg nach oben.
Als sie hinter sich Schritte hörte, dachte sie zuerst, es sei K evin. Sie drehte sich um und konnte gerade noch einen erschrockenen Laut unterdrücken. Vor ihr stand Edward Ormond. Er bewegte die Lippen, als wollte er etwas sagen. Sein Gesicht verzerrte sich, spiegelte Angst wider. "Ich wünschte, Sie könnten sprechen, Edward", meinte sie.
Er drehte sich um und wies zum Portal, dann ergriff er blit zschnell ihren Arm und versuchte, sie wieder die Treppe hinunterzuziehen.
"Master Edward!" Wie aus dem Nichts tauchte Mrs. White auf der Galerie auf. "Master Edward, geben Sie sofort Miss Bryant frei", befahl sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duld ete.
Edwards Hand löste sich. Er stieß einen erstickten Laut aus und stürzte davon.
"Sie sollten auf Ihr Zimmer gehen und sich etwas hinlegen, Miss Bryant", sagte die Hausdame, ohne weiter auf den Vorfall mit Edward einzugehen. "Ich werde dafür sorgen, dass man Ihnen das Dinner oben serviert."
"Danke", erwiderte die junge Frau. Sie weiß alles, dachte sie. Gab es in diesem Haus überhaupt etwas, was Edda White verbo rgen bleiben konnte? Niedergeschlagen bog sie in den Gang zu ihrem Zimmer ein.
13.
In dieser Nacht fand Michelle kaum Schlaf. Kevin hatte mehrmals versucht, sich mit ihr zu versöhnen und immer wieder an ihre Tür geklopft, aber sie hatte ihm nicht geöffnet. Stundenlang lag sie wach und dachte über ihre Zukunft nach. Sie fragte sich, ob Kevin wirklich der Mann war, den sie bis zu diesem Tag in ihm gesehen hatte. Es kam ihr vor, als sei er plötzlich zu einem Fremden für sie geworden. In einigen Wochen würde sie mit ihm vor dem Traualtar stehen, aber sie wusste nicht mehr, ob sie wirklich noch ihr Leben mit ihm teilen wollte.
Am nächsten Morgen kam die junge Frau erst ziemlich spät nach unten. Sie hoffte, weder Kevin noch seiner Familie zu b egegnen, aber Lady Patricia schien auf sie gewartet zu haben. Sie verwickelte Michelle in eine
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