Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
junge Polin in jenen Tagen nach Hamburg?“, fragte Nick. Er setzte sich und sah angespannt aus.
„Als Zwangsarbeiterin“, sagte er. „Von irgendeiner polnischen Straße gezerrt, um hier in der Rüstung zu arbeiten.“
„Und die anderen?“, fragte Vera. „Leontine. Kaleschke. Jantosch. Das sind keine Polen.“
Nick hob die Schultern.
„Glaubst du dann noch, dass sie die Böse im Spiel ist? Das widerspräche doch deiner Vermutung.“
„Warum?“, fragte Nick.
„Sie wäre ein Opfer der Nazis.“
Nick sah Vera an. Nachsicht in seinem Blick.
„Sind alle Opfer gute Menschen?“, fragte er. „Lass uns aufhören. Wir können ihr nicht helfen.“
„Du willst sie ihrem Schicksal überlassen?“
„Ja“, sagte Nick. Er hätte jetzt gern vom Schinken und vom Gorgonzola gegessen, doch für den Augenblick schien es ihm fast frivol, in den Köstlichkeiten zu schwelgen. Er nahm nur einen Schluck Espresso. „Pit hat zwei Mordfälle an der Backe, aber wir haben es lediglich mit den Hirngespinsten einer alten Dame zu tun.“
„Darf man nicht das eine und andere Hirngespinst haben, wenn man mit vierzehn Jahren als Zwangsarbeiterin hierher verschleppt wurde?“, fragte Vera.
Doch Nick schien ganz abgefallen zu sein vom Glauben an Jana Tempel. Er stand auf, um eine Flasche Wein zu öffnen.
„Vielleicht irre ich mich ja auch“, sagte er.
„Und sie ist weder Polin noch war sie Zwangsarbeiterin?“
„Genau“, sagte Nick.
„Ich werde zu ihr gehen und sie all das fragen“, sagte Vera, „und das Foto dazulegen. Kommst du mit?“
„Geh allein. Lässt sich doch vorstellen, dass sie sich bei dir offenbart. Sie hatte von Anfang an Schwierigkeiten mit mir.“ Er schenkte den Wein ein und war erleichtert, den Entschluss gefasst zu haben, bei der Tempel hinzuwerfen.
„Was ist los mit dir?“, fragte Vera.
„Vielleicht ist es die natürliche Verspießerung, die bei mir einsetzt“, sagte Nick. Er hob das Glas. „Ich sehne mich danach, endlich Land zu sehen und will mich nicht länger lächerlich machen bei Leuten wie der Tempel.“
„Die natürliche Verspießerung nehme ich dir ab“, sagte Vera.
Nick, der Rächer der Enterbten. Wo war er?
„Ist noch nicht lange her, da hätte dich das Schicksal einer Zwangsarbeiterin um den Schlaf gebracht.“
„Tut es immer noch“, sagte Nick, „doch hier spielt eine Diva Katz und Maus mit uns.“
„Pit glaubt, dass die beiden Mordfälle, die er an der Backe hat, mit der Tempel zu tun haben.“
„Und können wir ihm damit helfen, dass wir all die alten Kameraden noch mal abklappern?“
„Eben wolltest du wenigstens noch zu Stan Block.“
Er nahm einen tiefen Schluck vom Sauvignon. „Ich denke, dass ich die fünfhundert Euro abgearbeitet habe“, sagte er, „ich kann es mir nicht länger leisten, mich zu verzetteln.“
Das war genau das, was Leo ihm in der gemeinsamen Zeit vorgeworfen hatte. Die Verzettelei.
Doch Vera irrte sich, als sie dachte, dass er von Leo und ihr gehört hatte, und ihr die Heimlichkeit übelnahm.
Walentyna Skerka war ihm in den Kopf gekommen.
Lassen Sie sich nicht vor jeden Karren spannen, hatte sie gesagt und einen Nerv getroffen.
Er hätte ihr so gerne gut gefallen. Doch Walentyna Skerka sah in ihm Annis und Veras nützlichen Idioten.
Der sich sogar zum Aufpasser machen ließ. Anschwärzer. Einen anderen Karren konnte sie kaum gemeint haben.
Oder war es doch der von Jana Tempel?
Was waren das für Zeiten gewesen, als Gustavs Lieder auf dem Flügel gespielt wurden, kaum, dass sie die Wohnhalle des Vierjahreszeiten betreten hatte.
Klanke, dachte die Tempel. Hatte der Mann am Flügel nicht so geheißen? Ihr Gedächtnis war doch noch vorzüglich. Klanke hatte nicht nur sie mit Gustavs Liedern verwöhnt, er spielte einem jeden Gast dessen Lieblingslied. Jana Tempel erinnerte sich an das Oktavheft, das er führte, um all die Titel festzuhalten. Er hatte es Gustav einmal gezeigt.
Da wäre es nicht passiert, dass sie zu den Klängen von ‚Anatevka’ in die Halle kam. Obwohl ihr das an diesem späten Nachmittag nicht ganz unpassend schien.
Der Cognac, den sie oben im Zimmer getrunken hatte, tat ihr gut. Jana Tempels Schritt war fest und sicher, als sie dem Tisch am Fenster zustrebte, ihrem Lieblingsplatz.
Jeder im Hotel hatte in jenen Jahren gewusst, dass die junge Schauspielerin zu dem Komponisten Gustav Lichte gehörte.
Hatten sie nicht ein dreiviertel Jahr lang gemeinsam eine der großen Suiten bewohnt? Als Gustav aus
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