Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
Workstation mit dem neuesten
Apple-Computer, Audio- und Videotechnik vom Feinsten, eine Digitalkamera, die mit Sicherheit einen Tausender gekostet hatte.
An den Wänden hingen gerahmte Landschaftsaufnahmen, und auf einer Seite des Raums stand ein halbes Fitness-Center. Dies hier
war das Zimmer einer Frau, die ihre Freizeit ernst nahm und für die Geld keine Rolle spielte, wenn es darum ging, sich zu
Hause die Zeit zu vertreiben.
In einer Ecke stand ein Tagesbett.
Olga lag darauf, auf dem Rücken, leicht zur Seite verdreht. Die eine Hand hatte sie zur Faust geschlossen und unters Gesicht
geschoben, zwischen ihren Fingern hatten sich einige Strähnen kupferroten Haars verfangen. Die Augen waren geschlossen. Als
Fletcher sich über sie beugte, sah er auf der einen Wange eine schmale Tränenspur. Die Lippen waren leicht geöffnet und ein
Faden von Erbrochenem führte zu einer halb getrockneten Pfütze auf dem Boden, in der ein Durcheinander von Tablettenkapseln
in so knalligen Farben leuchtete, wienur Pharmafirmen sie erfinden konnten. Daneben lag eine leere Wodkaflasche.
Fletcher berührte Olgas Arm. Er war schon kalt und die Haut fühlte sich ein wenig feucht an.
»Warum?«, fragte Sal. »Ich sehe keinen Abschiedsbrief. Wegen Jake, aus Verzweiflung über seinen Tod?«
»Nein. Aus Angst. Sie war vollkommen in Panik.«
»Angst wovor?«
»Vor dem Mann, der sie mittels einer Heiratsagentur hier in Position gebracht hat und für den sie Informationen beschaffen
sollte. Sie hat ihn enttäuscht und hatte Angst davor, was er tun würde.«
»Was
wird
er tun?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Er trat zurück, damit der Fotograf den ganzen Raum ins
Bild bekam. Er musterte die wenigen Gegenstände, die auf dem glänzenden Holz der Schreibtischplatte lagen. Sie sahen aus wie
ein Stillleben aus der Sonntagsbeilage: ein Handy, der neueste Schrei im Art-déco-Stil, und ein Handheld-Computer, der kleiner
war als seine Hand. Er wusste, dass die Software-Spezialisten der Polizei sich diese Sachen vornehmen würden, doch er hatte
so eine Ahnung, dass sie vergeblich suchen würden. Olga hatte bestimmt darauf geachtet, keine Hinweise auf ihre wahren Verbindungsleute
zu hinterlassen.
Dann sah er, dass sie ihnen doch etwas hinterlassen hatte, und zwar etwas, das er unbedingt haben wollte.
»Sal, kommt es manchmal vor, dass sich dir die Nackenhaare sträuben?«
Sie folgte seinem Blick. Sie sagte nicht viel, sondern nahm einen Kugelschreiber und angelte sich damit das alte Ding, das
zwischen all den schicken, teuren Geräten lag.
»Das passt überhaupt nicht hierher«, sagte sie.
Sie hatte recht. Zwischen dem ganzen Hightechkram lag eine altmodische Audiokassette. Das Kunststoffgehäuse warramponiert, das Band erschlafft. Olga hatte dieses Teil gewiss nicht gebrauchen können – in ihrem Zimmer gab es nicht einmal
einen Kassettenrecorder. Das Ding passte besser zu Ron Teversham, genau diese Art von Kassette musste er in sein klobiges
altes Diktiergerät eingelegt haben, bevor er es sich unter den behaarten Arm klebte.
Das Blitzlicht ließ Olgas Gesicht ein letztes Mal aufleuchten.
Unten in Jakes Zimmer machte Fletcher die Tür zu. Sal warf den alten Kassettenrecorder an, und während das Band mit einem
Rauschen zum Leben erwachte, standen sie da und betrachteten Jakes Wandgemälde aus Farbe und Stroh, das Bild von Billy Breakman
und den beiden anderen, gesichtslosen Männern in einem Meer von Wasserwirbeln. Als Fletcher das Band rauschen hörte, rechnete
er mit einer Enttäuschung. Eine Sackgasse wie der Fund des Videos, das Jake in der Ausstellungshalle zeigte, oder die Information
über Tevershams Besuch in Blindy House. Doch dann waren auf der Kassette Geräusche und schließlich Stimmen zu hören, und Fletcher
wusste, dass er auf einer heißen Spur war.
Das Band lief keine drei Minuten. Gleich darauf ging Fletcher hinaus und bat den Fotografen, noch eine Aufnahme des Wandgemäldes
zu machen, bevor er die Kamera wegpackte. Als Fletcher zurückkam, starrte Sal die Kassette in ihrer Hand an.
»Die Antwort lautet ja«, sagte sie.
Er erwachte aus seinen Gedanken. »Die Antwort worauf?«
»Ja, es kommt vor, dass sich mir die Nackenhaare sträuben. Zum Beispiel jetzt.«
Eines Abends Anfang Januar 1979 trat der leitende Ingenieur in die Wohnung im Obergeschoss des Niva-Wohnblocks und setzte
sich an den Küchentisch. Draußen herrschten minus
fünfundzwanzig Grad, und durch die
Weitere Kostenlose Bücher