Tod einer Verrückten
… Ja, ja, ist er. Ich gebe weiter. Es ist für Sie. «
Verblüfft nahm der Maresciallo den Hörer entgegen. Es war der Leutnant, den er in der Nacht angerufen hatte, in der sie Clementina gefunden hatten .
»Ich habe Sie auf dem Posten angerufen und erfahren, daß Sie auf dem Weg nach San Salvi sind, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie Sie selbst darauf gekommen sind. «
Jetzt war der Maresciallo völlig verwirrt. »Ich bin hergekommen, weil … wegen des Selbstmords. Anscheinend hat die Frau einige Jahre als Patientin hier verbracht, und da dachte ich, vielleicht bekomme ich ja ein paar Auskünfte über sie. «
»Verstehe. Tja, aus genau dem Grund hat uns die Anstalt angerufen, und ich wollte, daß Sie sich darum kümmern. Wie es scheint, war bereits jemand dort, um Nachforschungen anzustellen, und da wurden die Leute mißtrauisch. «
»Wann war das? «
»Gestern nachmittag. Anscheinend kamen dem Archivar, bei dem Sie gerade sind, gewisse Zweifel, und um Zeit zu gewinnen und sich mit seinen Kollegen zu beraten, hat er dem Mann gesagt, er soll heute vormittag wiederkommen. Als der sich nicht mehr blicken ließ, kamen ihm Bedenken, und er hat uns angerufen. Ich überlasse es Ihnen, dieser Sache nachzugehen, und rufe lieber mal den Stellvertretenden Staatsanwalt an, um ihm Bescheid zu geben. «
»Der wird nicht sonderlich begeistert sein. «
»Glauben Sie nicht? Warum? «
»Er ist bereits sauer, daß die Presse besser informiert war als wir, und jetzt sieht es ganz so aus, als hätte ich vor dem geheimnisvollen Besucher hiersein können, wenn ich den Artikel wenigstens gleich nach Erscheinen gelesen hätte. Nein, da wird er gar nicht begeistert sein. «
»Hm. Falls es Ihnen weiterhilft, ich habe den Artikel auch erst gelesen, als der Anruf von der Anstalt kam. Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Erledigen Sie, was es dort zu erledigen gibt, ich kümmere mich inzwischen um den Staatsanwalt. Ich habe schon früher mit ihm zusammengearbeitet und weiß, daß das nicht einfach ist. «
»Vielen Dank. «
Der Maresciallo legte auf, lehnte sich zurück und betrachtete Mannucci .
»Also, dann erzählen Sie mal. «
»Es war gestern nachmittag«, begann Mannucci, »so gegen drei Uhr, glaube ich, obwohl ich es nicht auf die Minute genau sagen kann. «
»Das spielt keine Rolle. Weiter. «
»Es klopfte an die Tür – ich will Ihre Zeit nicht mit dem ganzen Hin und Her und Wenn und Aber verschwenden –, jedenfalls wollte dieser Mensch das Krankenblatt von Anna Clementina Franci. «
»Sie haben es ihm doch hoffentlich nicht gegeben? «
»Natürlich nicht. Wir geben Krankenblätter nicht einfach so heraus. In bestimmten Fällen kann der Hausarzt des Patienten Einsicht verlangen, und in ganz seltenen Fällen erlauben wir Medizinstudenten, die auf diesem Gebiet arbeiten, Einsicht in unsere Unterlagen zu nehmen. Allerdings dürfen wir eine Fotokopie des Krankenblatts herausgeben, wenn der Patient nach seiner Entlassung einen schriftlichen Antrag stellt. Dieser Mann hat sich als Verwandter von Anna Clementina Franci ausgegeben und behauptet, er besäße eine Handlungsvollmacht; er hatte auch einen von ihr unterschriebenen Antrag dabei – machen Sie sich keine Sorgen, ich habe ihm trotzdem nicht gegeben, was er wollte. Zufällig habe ich vom Tod dieser Frau erfahren, noch bevor etwas davon in der Zeitung stand, weil ich just an dem Abend beim Bummeln in der Stadt Freunde getroffen habe, die im selben Bezirk wohnen. Meine Frau und ich machen nach dem Abendessen meistens noch einen Spaziergang. Sie schaut sich gern Schaufenster an, und da es ohnehin zu heiß ist, um zu schlafen … Also, wie gesagt, wir haben Freunde getroffen, und die haben uns erzählt, sie hätten beim Weggehen eine Menschenmenge vor dem Haus gesehen und auf die Frage, was denn los sei, erfahren, daß die verrückte Clementina Selbstmord begangen hat. «
»Haben Ihre Freunde Clementina gekannt? «
»Nein. Sie wohnen zwar im selben Bezirk, aber zwei Straßen weiter. Sie haben ihre eigene verrückte Clementina, die die Wände im ganzen Haus mit Sprüchen und Beleidigungen vollkritzelt wie ein pubertärer Schmierfink, obwohl sie auf die Achtzig zugeht. Jedenfalls war ich ziemlich sicher, daß es sich bei der erwähnten ›verrückten Clementina‹ um Anna Clementina Franci handelt, und habe deshalb, sobald ich nach Hause kam, bei der Zeitung angerufen. Es war schon sehr spät, aber ich wurde mit dem Journalisten verbunden, der die Geschichte dann in
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