Tod einer Verrückten
Stunde später das Telefon klingelte .
»Der Stellvertretende Staatsanwalt für Sie, Maresciallo. «
»Stell ihn durch. «
»Guarnaccia? Ich habe gerade Ihren Bericht gelesen. «
Der Maresciallo räusperte sich und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Ich fürchte, bisher haben wir noch nicht viele Anhaltspunkte. «
»Das sehe ich«, herrschte ihn der Staatsanwalt an. »Wir würden allesamt eine bessere Figur machen, wenn diese Journalisten ihre Informationen von uns bekämen statt umgekehrt. Daß es sich so verhält, schließe ich daraus, daß in Ihrem Bericht San Salvi mit keinem Wort erwähnt wird. Falls Sie etwas davon gewußt haben, hätte ich es sehr begrüßt, wenn Sie zuerst mich und dann die Presse informiert hätten, egal ob Sie es für wichtig gehalten haben oder nicht! Sind Sie noch da? «
»Ja …« Der Maresciallo zog die Zeitung zu sich heran und versuchte sie aufzuschlagen, ohne verräterisch damit zu rascheln. Noch nie war er so dankbar für eine so langatmige Gardinenpredigt gewesen, die zum einen Ohr hinein und zum anderen hinausging, während er den Artikel überflog, bis ihm San Salvi, der Name der psychiatrischen Klinik von Florenz, ins Auge sprang. Er las weiter, bis dem Staatsanwalt die Luft ausging, und sagte dann: »Das hat der Journalist selbst herausgefunden. Die hatten etwas im Archiv, und da haben sie auch das Foto entdeckt. Ich habe bereits bei der Zeitung angerufen. «
»In dem Fall hätten Sie wenigstens so freundlich sein können, mich vor Erscheinen dieses Artikels anzurufen. «
»Ich habe Sie gestern angerufen, aber Sie waren nicht da«, entgegnete der Maresciallo in der Hoffnung, der Staatsanwalt würde sich nicht genauer nach der Reihenfolge der Ereignisse erkundigen .
»Verstehe. Tja, dann wenigstens gleich heute früh. «
»Ich hielt es für besser, der Sache erst nachzugehen. Eine Zeitung ist wohl kaum eine zuverlässige Informationsquelle.« Gar nicht schlecht für jemanden, der im Stehen schlief und dabei den Artikel weiterlas .
Zehn Jahre in San Salvi … entlassen infolge des neuen Gesetzes … inadäquate Betreuung … Armut … Selbstmord … ist es so um das Gesundheitswesen eines zivilisierten Landes, bestellt …
»Ich nehme doch an, daß Sie sofort hinfahren? «
»Auf der Stelle.« Der Maresciallo konnte nur hoffen, daß die Anstalt im August nicht auch geschlossen war .
»Dann melden Sie sich bei mir, sobald Sie zurück sind. «
»Selbstverständlich. «
»Ich werde Druck machen, daß die Obduktion morgen über die Bühne geht. Ich sehe nicht ein, daß der August als Ausrede für diese Nachlässigkeit herhalten soll, die sich überall breitmacht.« Eine Bemerkung, die offenbar auf die Schwächen des Maresciallo abzielte. Trotzdem zeigte der Staatsanwalt unvermutet wenigstens einen Funken Interesse .
»Es ist durchaus möglich, daß ich mich entschließe, morgen bekanntzugeben, daß es sich um Mord handelt. Vielleicht bekommen wir auf diese Weise mehr Informationen. «
»Ich weiß nicht recht …« Unschlüssig hielt der Maresciallo inne .
»Was denn? «
»Ich dachte gerade, wenn wir vielleicht noch etwas warten … «
»Worauf denn? Die Presse spielt den Fall viel zu sehr hoch, und der Oberstaatsanwalt will ihn restlos aufgeklärt haben. Ich fahre am vierten September in Urlaub, wäre also froh, wenn Sie sich ein bißchen Mühe geben würden. «
Eine plausible Erklärung für sein plötzliches Interesse .
»Ich werde mein Bestes tun«, sagte der Maresciallo, »und sobald ich was aus der Klinik habe, melde ich mich. «
Nachdem er diesmal aufgelegt hatte, las er Gallis Artikel sehr aufmerksam durch .
Gegen elf Uhr machte er sich auf, um San Salvi einen Besuch abzustatten, kam aber nur bis zur Treppe, weil Di Nuccio ihn rief .
»Telefon für Sie, Maresciallo. Angeblich ist es dringend.« Er kehrte in sein Büro zurück und nahm ab .
»Sind Sie es, Maresciallo? Ich habe Neuigkeiten für Sie. «
Er brauchte nicht zu fragen, wer es war. Francos ruhige, träge Stimme war unverwechselbar. Als wäre das dem Anrufer durchaus bewußt, sparte er sich die Mühe, seinen Namen zu nennen .
»Ist was passiert?« fragte der Maresciallo .
»Nein, aber ich habe mit meinen Gästen geplaudert, wie Sie vorgeschlagen haben, und herausgefunden, daß Clementina vor einiger Zeit Besuch von einem Fremden hatte. «
»Wann war das? «
»Genau kann ich es Ihnen nicht sagen, aber es muß etwa einen Monat her sein. Vermutlich zu lange, als daß es etwas mit dem
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