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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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viel erbitterter geführt worden, aber auch heute noch brauchte man Wissen, Können und die richtigen Verbindungen, um erfolgreich zu sein.
    Die einzige Sache, die sich Monk einprägte, als er die Papiere ein drittes Mal durchblätterte und Hester die wichtigsten Briefe laut vorlas, war, dass die erwarteten Gewinne nicht übermäßig hoch waren.
    »Den Baltimores muss es sehr gut gehen«, bemerkte sie. »Aber ein Vermögen ist es nicht gerade.«
    »Nein«, pflichtete er ihr zerknirscht bei. »Für den Besitzer einer Eisenbahngesellschaft wohl kaum.«
    Ihn bestürmte die Erinnerung, dass man Dundas der Veruntreuung weit größerer Summen als hier angeklagt hatte. Sie war nur flüchtig, so kurz, dass sie schon wieder verschwunden war, bevor er sie verstehen konnte. Sie hatte womöglich nichts mit dem gegenwärtigen Thema zu tun, aber vielleicht war sie auch der Schlüssel, das eine Element, das noch fehlte. Da war etwas, das alles miteinander verband und in einen logischen Zusammenhang stellte, aber es trieb stets knapp außerhalb seiner Reichweite, schmolz in einem Augenblick zu etwas Formlosem, um sich im nächsten beinahe zu offenbaren. Er griff danach, und schon war nur noch eine diffuse Angst da.
    Es gab jedoch noch mehr Angst, und zwar mit klaren Konturen: Emma, der Katrina ganz offen anvertraut hatte, dass sie Monk nicht traute. Wer war sie, und warum hatte sie sich nicht gemeldet? Irgendwoher hatte sie sicher erfahren, dass Katrina ermordet worden war, durch Freunde, Klatsch, vielleicht sogar von einem Anwalt, dem Katrina ihre Angelegenheiten anvertraut hatte. Der kurze Blick in ihre Wohnung und die Kleider, die sie bei ihren Treffen getragen hatte, deuteten darauf hin, dass sie nicht mittellos war.
    Wenn sie mit solcher Offenheit korrespondierten, standen sie sich nahe, schrieben sich häufig. Unter Katrinas Unterlagen war sicher eine Notiz – ihre Adresse oder zumindest etwas, woraus er schließen konnte, wo sie lebte.
    Vielleicht wusste sie sogar etwas über Dalgarno, was Katrina ihr anvertraut hatte, etwas, das Runcorn helfen konnte.
    Er musste noch einmal in Katrinas Wohnung. Die Frage war: Wäre es klüger, dreist im hellen Tageslicht hinzugehen und vorzugeben, er habe die Befugnis dazu, oder in der Nacht einzubrechen und darauf zu vertrauen, dass er nicht erwischt wurde? So oder so hatte er keine richtige Erklärung. Am schlimmsten wäre, wenn man ihn mit Emmas Adresse oder einem weiteren vernichtenden Brief von ihr in der Hand erwischen würde.
    Aber es war zu riskant, ihn nicht zu holen, nicht nur, weil Runcorn ihn finden könnte. Zum ersten Mal in seinem Leben lagen – soweit er sich erinnerte – seine Nerven so blank, dass sie ihn verraten konnten, zumindest Hester gegenüber, und sie war ihm noch wichtiger als das Gesetz.
    Er wusste nicht, ob es die mutigere Variante war, aber er entschied sich für tagsüber. Wenn er gefragt wurde, hatte er eher die Chance zu bluffen, und es ginge schneller. Er wollte es hinter sich bringen. Das Warten fiel ihm fast so schwer wie die Vorbereitung und die Durchführung.
    Katrinas Haus war nicht bewacht, aber zwanzig Meter weiter sah er einen Streifenpolizisten. Sollte er warten, bis der Mann weiterging, und sich dann hineinschleichen und sich, wenn er erwischt wurde, eine Ausrede einfallen lassen? Oder wäre es besser, kühn auf ihn zuzuschreiten, ihn anzulügen, es sei ihm etwas eingefallen und er habe Runcorns Erlaubnis, die Wohnung zu betreten? Im Grunde hatte er sie ja. Runcorn wollte, dass er Dalgarnos Schuld bewies.
    Es gab nur diese zwei Möglichkeiten, und die zweite barg Gefahren, aber sie war die bessere. Er zwang sich, nicht über die Folgen nachzudenken. Angst würde sich in seinem Gesicht zeigen, und wenn der Polizist gewieft war, würde er seine Unsicherheit sehen. Also ging er forsch auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.
    »Guten Morgen, Constable«, sagte er mit einem leichten Lächeln, das nicht mehr war als eine höfliche Geste. »Ich heiße Monk. Sie erinnern sich vielleicht an mich, von der Nacht, in der Miss Harcus umgebracht wurde.« Er sah Wiedererkennen im Gesicht des Mannes und eine Welle der Erleichterung. »Da ich Miss Harcus kannte und an einem Fall für sie arbeitete, hat Mr. Runcorn mich um Hilfe gebeten. Ich muss noch einmal ins Haus und nach etwas suchen. Ich brauche Sie nicht. Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, damit Sie sich keine Sorgen machen, falls Sie mich dort sehen.«
    »In Ordnung, Sir. Vielen Dank«, sagte der Polizist

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