Tod eines Fremden
Squeaky aufgebracht. »Ich bestimmt nicht, also hat's keinen Sinn, sich an mich zu wenden. Die Zeiten sind hart. Ausgerechnet Sie sollten das doch wissen.«
»Wieso ich?«, fragte Hester unschuldig.
»Weil Sie wissen, dass kaum eine Seele auf der Straße ist!«, sagte er wütend. »Die feinen Herren gehen woandershin, um ihr Vergnügen zu suchen. Wir werden noch alle im Armenhaus enden, das ist sicher!« Das war übertrieben. Bevor es zu so einer Katastrophe kam, würde er eher zum Dieb werden, aber in seiner Stimme schwang Panik mit, die durchaus echt war.
»Ich weiß, dass es schwer ist«, sagte sie ernst. »Politischer Druck sorgt dafür, dass die Polizei überall ist, obwohl niemand erwartet, dass sie herausfinden, wer Baltimore umgebracht hat.«
Ein merkwürdiger Ausdruck huschte über sein Gesicht, eine Art unterdrückte Wut. Warum? Wenn er wusste, wer der Mörder war, warum informierte er dann nicht, heimlich natürlich, die Polizei, damit der ganze Spuk endlich ein Ende hatte? Dann könnten er und alle anderen wieder zur Normalität zurückkehren.
Darauf gab es nur eine Antwort – weil er oder zumindest sein Haus irgendwie in die Sache verwickelt war. Schützte er seine Frauen, selbst auf Kosten des Geschäfts? Das konnte Hester sich schwer vorstellen. Er benutzte Frauen, bis sie keinen Wert mehr für ihn hatten, dann ließ er sie fallen, wie alle Zuhälter. Sie waren Eigentum.
Aber sie waren besonders kostbares Eigentum, schwer zu ersetzen. Er konnte nicht einfach rausgehen und sie anwerben; sie mussten ihm in die Falle gehen.
»Sie werden's nicht rausfinden«, feixte er, aber darunter lag wachsende Anspannung, und er betrachtete sie ebenso eindringlich wie sie ihn. »Wenn sie irgendeinen Ansatzpunkt hätten, hätten sie den Fall inzwischen längst gelöst«, fuhr er fort. »Sie sind nur hier, um die Empörung einiger feiner Pinkel zu besänftigen, weil eine Nutte es gewagt hat zurückzuschlagen.« In seinen Augen war Hass, aber auf was, konnte sie nicht sagen.
Was war mit der Frau geschehen, von der Baltimore umgebracht worden war, falls es sich um eine Frau handelte? Oder hatte sie ihn einfach geschlagen und womöglich geschrien, und jemand wie der Möchtegernbutler an der Tür hatte ihn umgebracht? Vielleicht sogar unabsichtlich. Womöglich hatte Baltimore bei einem Kampf am oberen Treppenabsatz das Gleichgewicht verloren und war gestürzt.
»Scheint, als würde jemand sie schützen«, sagte sie, doch dann schwieg sie, weil sie seine abwehrende Miene sah. »Sie glauben das nicht?«
Er machte ein neutrales Gesicht. »Woher soll ich das wissen? Vielleicht?«
»Sie haben es doch zu Ihrem Geschäft gemacht, alles zu wissen«, antwortete sie, ohne den Blick abzuwenden. »Möchten Sie, dass man Sie für unfähig hält – für dumm?«, fügte sie deutlich hinzu, falls er sie nicht verstanden haben sollte.
Er wurde rot vor Wut – oder vielleicht Verlegenheit?
»Sie müssen auf Ihren Ruf achten«, sagte sie.
»Was wollen Sie?«, fuhr er sie schrill an, mit kaum kontrollierter Anspannung. »Ich kann Jessop nicht aufhalten, das hab ich Ihnen schon gesagt. Wenn Sie möchten, dass ihm jemand ein bisschen Vernunft einprügelt, kostet Sie das was. Mir ist es egal, ob Sie Geld haben oder nicht, aber für nichts gibt's nichts.«
Es war nicht nur Gier, die ihn antrieb, es war auch Angst; sie konnte sie hören und sehen, sie war fast körperlich zu greifen. Angst wovor? Nicht vor der Polizei, die war weit entfernt von einer Lösung. Das wusste sie von Constable Hart. Angst vor dem schweigsamen Mann, der jungen Frauen Geld lieh und sie dann erpresste und in die Prostitution trieb? Ein Mann, der so etwas tat, war sicher ein grausamer und möglicherweise auch gefährlicher Partner. Drohte er Squeaky, falls dieser trotz der Umstände nicht das normale Einkommen erzielte?
Sie lächelte. Der Gedanke, dass der Möchtegernbutler Jessop ein blaues Auge verpasste und ihm ordentlich Angst einjagte, war sehr reizvoll. Sie könnte in Versuchung geraten.
Squeaky beobachtete sie wie die Katze eine Maus.
»Fünf Pfund«, sagte er.
Ein relativ bescheidener Betrag. Margaret würde ihn sicher auftreiben können. Warum bot Squeaky ihr an, so etwas für nur fünf Pfund zu tun? War sein Partner wirklich so anspruchsvoll? Er war ein Wucherer. Geld war sein Betriebsmittel. War Squeaky so blank, dass fünf Pfund ihm schon weiterhalfen?
»Für Sie und Ihren Partner?«, fragte sie.
»Mich!«, fuhr er sie an. »Er ist …«
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