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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Dann verschwand der Hohn in seiner Miene, und er räumte alles ein. »Für mich«, wiederholte er.
    Es dauerte ein oder zwei Sekunden, bis ihr klar wurde, was er sagte, dann begriff sie – er war allein. Aus irgendeinem Grund hatte er keinen Partner mehr. Daher seine Panik – die Tatsache, dass er nicht wusste, wie er das Geschäft allein weiterführen sollte.
    Die wilde Idee, die ihr ihm Haus von Marielle Courtney gekommen war, verdichtete sich fast zu einer Gewissheit. Nolan Baltimore war Squeakys Partner gewesen, und durch seinen Tod, durch Mord oder Unfall, hatte Squeaky niemanden mehr, der für ihn den Geldverleih betrieb.
    Er brauchte einen neuen Partner, jemanden, der Zugang zu solchen jungen Frauen hatte, die womöglich Schulden machten, und der die geschliffenen Manieren besaß, um ihr Vertrauen zu erringen, und den Geschäftssinn, ihnen Geld zu leihen und darauf zu bestehen, dass sie es auf diese Weise zurückzahlten.
    Eine noch wildere Idee kam ihr fast ungebeten in den Sinn. Es war ungeheuerlich, aber es konnte funktionieren. Wenn es funktionierte, wenn es ihr gelang, ihn zu überzeugen, könnte sie dadurch auch ihre eigenen Probleme lösen. Es würde nicht ans Tageslicht bringen, wer Baltimore umgebracht hatte, oder die Polizei aus der Gegend verschwinden lassen, aber sie musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie das kaum interessierte. Wenn Baltimore der Wucherer gewesen war und zugleich Kunde seines eigenen scheußlichen Gewerbes, dann konnte sie seinen Tod nicht betrauern.
    »Ich werde über Ihr Angebot nachdenken, Mr. Robinson«, sagte sie selbstbewusst. Sie stand auf. Jetzt, als sie einen Plan hatte, war sie begierig, die Probe aufs Exempel zu machen.
    Er sah fast ein wenig hoffnungsvoll drein. Wegen des Geldes oder der Aussicht, Jessop richtig Angst einjagen zu können? Egal. »Lassen Sie es mich wissen«, sagte er mit einem dünnen Lächeln.
    »Das werde ich«, versprach sie. »Guten Tag, Mr. Robinson.«
    Hester musste bis zum Abend warten, bevor sie Margaret in ihren Plan einweihen konnte. Alice und Fanny ging es gut, sie unterhielten sich. Hester hörte sie gelegentlich kichern. Hester setzte sich mit Margaret hin, um eine Tasse Tee zu trinken. Sie konnte sich nicht länger beherrschen.
    Margaret starrte sie mit großen Augen ungläubig an. »Das wird er nie im Leben tun! Nie im Leben!«
    »Also, vielleicht nicht«, meinte Hester und griff nach Butter und Marmelade für ihren Toast. »Aber glauben Sie nicht, dass es funktionieren könnte – falls er zustimmt?«
    »Falls … glauben Sie …« Margaret konnte es schwerlich abstreiten, aber sie glühte vor Aufregung.
    »Kommen Sie mit mir, um es zu versuchen?«, fragte Hester.
    Margaret zögerte. Ihr Eifer war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, aber auch ihre Angst vor Peinlichkeit oder Scheitern. Man hielt sie vielleicht für zu dreist, und sie könnte sich eine Abfuhr einhandeln, die sie mehr verletzen würde, als sie verkraften konnte.
    Hester wartete.
    »Ja«, meinte Margaret und atmete tief ein, als wollte sie ihre Zusage wieder zurücknehmen, stieß die Luft seufzend aus und griff nach ihrer Tasse.
    »Gut.« Hester lächelte sie an. »Wir gehen morgen früh. Ich treffe Sie um neun Uhr in der Vere Street.« Sie gab Margaret keine Chance, es sich noch einmal zu überlegen. Sie stand auf, nahm ihren Toast mit und ging zu Fanny, um sich mit ihr zu unterhalten, als sei die ganze Angelegenheit damit entschieden und besprochen.
    Der Morgen war wieder hell und kalt, und Hester zog ein schickes dunkelblaues Kleid und einen Mantel an. Sie nahm einen Hansom in die Vere Street, um kurz vor neun dort zu sein. Sie wusste, Margaret würde pünktlich sein und vor Anspannung zittern. Hester achtete ihre Gefühle, aber abgesehen davon wollte sie ihr keine Gelegenheit geben, einen Rückzieher zu machen.
    Margaret kam zu spät, und Hester ging schon ängstlich auf dem Gehweg auf und ab. Schließlich kam ein Hansom angefahren, und Margaret stieg, geschmackvoll gekleidet, mit weniger Anmut als sonst aus.
    »Es tut mir Leid!«, sagte sie hastig, nachdem sie den Kutscher entlohnt hatte. »Der Verkehr war schrecklich. Am Trafalgar Square sind zwei mit den Rädern zusammengestoßen, und eine Achse brach. Dann fingen sie an, sich zu beschimpfen. Was für ein Durcheinander. Sind wir …«
    »Ja«, antwortete Hester, zu erleichtert, um wütend zu sein. »Sind wir! Kommen Sie!« Damit nahm sie Margaret beim Arm, und sie betraten Rathbones Kanzlei.
    Sie

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