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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hingen womöglich auch nicht mehr dort.
    Mit einem Ruck erinnerte er sich ganz deutlich daran, dass er am Esszimmertisch gesessen hatte. An der Fensterreihe gegenüber von ihm waren blaue Vorhänge. In den Kronleuchtern flackerten Kerzen, die sich in den silbernen Bestecken auf dem weißen Leinen spiegelten. Er konnte das Muster auf den Griffen erkennen, als hielte er jetzt einen in der Hand, reich verziert, mit einem in der Mitte eingravierten D. Es gab auch Fischmesser, eine neue Erfindung – vorher hatte man Fisch mit zwei Gabeln gegessen –, über die Mrs. Dundas außerordentlich erfreut war. Er sah Ruhe und Glück in ihrem Gesicht. Sie hatte etwas Pflaumenfarbenes getragen, das gut zu ihrer blassen Haut passte. Schön war sie nicht, aber sie strahlte Würde aus und war eine individuelle Persönlichkeit, die er stets geschätzt hatte. Es war ihre Stimme, die ihm am meisten gefiel, tief und ein wenig heiser, besonders wenn sie lachte. Dann lag darin pure Freude.
    Ein Dutzend Menschen saßen am Tisch, alle elegant gekleidet, Juwelen glitzerten, die Gesichter waren entspannt und glücklich, und am Kopfende führte Arrol Dundas den Vorsitz über die fröhliche Gesellschaft.
    Sie waren reich, sehr reich.
    War es das Ergebnis eines Betrugs? Gründeten die ganze Eleganz und der Wohlstand auf den Verlusten anderer Menschen? Der Gedanke war dermaßen hässlich, dass Monk überrascht war, dass es ihm dabei nicht das Herz zerriss. Vielleicht hatten Katrinas Tod und die bruchstückhaften Erinnerungen und Bilder des Unfalls ihn zu sehr betäubt, sodass er nicht noch mehr Schmerz empfinden konnte.
    Er beugte sich vor und klopfte kräftig an die Kutschenwand, um die Aufmerksamkeit des Kutschers auf sich zu lenken.
    »Vielen Dank. Bringen Sie mich bitte zurück zum Archiv«, bat er ihn.
    »Ja, Sir. In Ordnung.« Der Kutscher hatte oft mit exzentrischen Fahrgästen zu tun, doch ihm war es egal, solange sie zahlten. Er schlug leicht mit der Peitsche, und das Pferd, das froh war, nicht länger im grellen Sonnenlicht stehen zu müssen, setzte sich in Bewegung. Im Schatten war der Nachtfrost auf den Pflastersteinen noch nicht geschmolzen.
    Hatte das Haus Dundas gehört, oder war es nur gemietet gewesen? Monk hatte die Angelegenheiten so vieler Menschen erforscht und wusste, dass so manch einer auf Kredit lebte. Er erinnerte sich an Mrs. Dundas, wie sie ihm an einem anderen Ort vom Tod ihres Mannes erzählt hatte. Hatte sie dieses schöne Haus aus finanziellen Gründen verlassen oder weil sie es nicht ertrug, in der Nähe ihrer alten Freunde zu leben, nachdem ihr Mann in Ungnade gefallen war? Es würde keine Einladungen mehr geben, keine Besuche, keine Gespräche auf der Straße. Jeder wäre weggezogen – er auch!
    Dundas musste ein Testament hinterlassen haben. Und wenn das Haus verkauft worden war, würde es datierte Akten darüber geben.
    Er brauchte bis zum Nachmittag, um herauszufinden, wonach er suchte. Doch was er fand, machte ihn ratlos und konfrontierte ihn mit einem Geheimnis, das er längst gelöst haben sollte. Das Haus war bereits vor Dundas' Tod verkauft worden, und seiner Witwe war am Ende nicht mehr geblieben als ein sehr bescheidenes Haus und eine winzige Jahresrente, mit der sie, wenn sie sparsam wirtschaftete, gerade so auskam.
    Was ihn verblüffte und mit zitternden Händen und einem Gefühl der Enge in der Brust zurückließ, war der Name des Testamentsvollstreckers: William Monk.
    Er stand vor dem Regal, in dem das Buch offen vor ihm lag, und beugte sich darüber. Seine Beine wurden schwach.
    Was war mit dem Geld aus dem Verkauf des Hauses geschehen? Das Gericht hatte es nicht eingezogen. Der Gewinn aus dem betrügerischen Verkauf des Landes war noch nicht ausgezahlt worden. Dundas hatte das Haus zwölf Jahre lange besessen, sodass auf dessen Kauf kein Makel lag.
    Wo war das Geld geblieben? Er sah noch einmal nach und noch einmal, aber trotz aller Sorgfalt konnte er keine Unterlagen darüber finden. Wenn er die Angelegenheit selbst bearbeitet hatte, und es schien, als habe Dundas ihm das anvertraut, dann hatte er alle Spuren verwischt. Warum? Der einzige Grund dafür, dass ein Mann seine Geldgeschäfte verbarg, konnte doch wohl nur der sein, dass sie unlauter waren?
    Es war ein Vermögen gewesen! Wenn er selbst es genommen hatte, dann wäre er ein sehr reicher Mann gewesen. Das hätte er doch kaum vergessen können? Als er zur Polizei ging, hatte er nichts besessen als die Kleider, die er am Leib trug – und

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