Tod eines Fremden
seine Witwe lebte äußerst bescheiden in einem recht zweifelhaften Viertel. Als sie starb, hinterließ sie nichts. Sie hatte von einer Jahresrente gelebt, die mit ihrem Tod endete.«
»Und Sie wissen nicht, was mit dem Geld geschah?«
Monk blickte auf. »Ich habe alles Mögliche versucht, um mich daran zu erinnern: Ich habe Orte wieder aufgesucht und die Zeitungen von damals gelesen, aber es fällt mir nicht ein.«
»Wovor haben Sie Angst?« Rathbone ersparte ihm nichts. Vielleicht war das notwendig, wie wenn ein Arzt tastete, um zu sehen, wo es am meisten wehtat.
Konnte er lügen? Zumindest in diesem Punkt? Um was ging es? Er musste Rathbone erzählen, dass er die Briefe verbrannt hatte, die ihn – fälschlicherweise – in die Sache hineinzogen.
»Dass ich damals Bescheid wusste«, antwortete er. »Ich war sein Testamentsvollstrecker. Er muss mir vertraut haben.«
Rathbone hielt sich keineswegs bedeckt, obwohl er zögerte und man seiner Stimme anhörte, dass es ihn schmerzte. »Könnte es sein, dass Sie das Geld genommen haben?«
»Weiß ich nicht! Vielleicht. Ich erinnere mich nicht.« Monk beugte sich vor und blickte zu Boden. »Alles, was ich deutlich vor mir sehe, ist ihr Gesicht, das Gesicht seiner Witwe, als sie mir sagte, dass er tot sei. Wir waren in einem ganz gewöhnlichen Haus, klein und ordentlich. Ich hatte das Geld nicht, aber ich weiß nicht, ob ich nicht etwas damit gemacht habe. Ich habe mir den Kopf zermartert, aber ich kann mich einfach nicht erinnern!«
»Verstehe«, sagte Rathbone freundlich. »Und wenn Dundas unschuldig war, wie Sie damals glaubten, bedeutet das, dass es keinen Betrug gegeben hat oder dass jemand anders ihn begangen hat?«
»Ich glaube, das ist die entscheidende Frage«, sagte Monk, richtete sich langsam auf und begegnete Rathbones Blick. »Vor sechzehn Jahren gab es Betrug, zweifelsfrei. Auf dem Messtischblatt waren falsche Gitternetzmarkierungen. Wenn es nicht Dundas war, dann war es jemand anders, möglicherweise Nolan Baltimore …«
»Warum?«, unterbrach ihn Rathbone. »Warum sollte Baltimore einen Vermessungsbericht fälschen, wenn Dundas persönlich davon profitierte?«
»Ich weiß nicht. Es ergibt in meinen Augen keinen Sinn«, räumte Monk geschlagen ein. Er fühlte sich wie von allen Seiten umzingelt. »Aber ich glaube nicht, dass es diesmal Betrug gab. Die Strecke wurde verlegt, aber das Land gehörte Dalgar-no nicht. Wenn illegal Profit gemacht wurde, dann allenfalls durch Bestechungsgelder, um die Strecke umzulenken, damit keine landwirtschaftlichen Betriebe oder Güter zerteilt wurden. Aber so, wie die liegen, hätte jeder die Strecke umgeleitet – auch ohne Bestechung.«
Rathbone schaute ihn mit ernster Miene an. »Monk, was Sie da sagen, ist, dass Dalgarno keinen Ihnen bekannten Grund hatte, diese Frau umzubringen. Wenn er kein Motiv hatte und niemand ihn dabei beobachtet hat, gibt es keinen Beweis, um ihn auf das Verbrechen festzunageln.«
»Ein paar kleine gibt es«, sagte Monk langsam und sehr deutlich. Er hörte die Worte fallen wie Steine, unwiederbringlich. »Ein Papier, das Katrina hinterließ und das ihn beschuldigt. Aber sie hinterließ auch eines, auf dem sie – auf den ersten Blick – mich beschuldigt. Und der Knopf.« Jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen. Rathbone würde ihn zwingen, die ganze Wahrheit zu erzählen.
»Knopf?« Rathbone runzelte die Stirn.
»Als sie starb, hielt sie den Knopf einer Herrenjacke in der Hand.«
»Beim Kampf abgerissen? Warum, zum Teufel, haben Sie das nicht gleich gesagt?«
Jetzt war Rathbone voller Eifer, seine Augen funkelten. »Damit kann man ihn festnageln – Motiv hin oder her!«
»Eben nicht«, sagte Monk trocken, sich selbst in diesem schrecklichen Augenblick des makabren Witzes bewusst.
Rathbone machte den Mund auf, um etwas zu sagen, dann spürte er etwas, was tiefer und jenseits aller Worte lag, und sagte nichts.
»Ich hatte mich am Mittag mit ihr im Park getroffen«, fuhr Monk fort. »Sie war sehr beunruhigt und immer noch leidenschaftlich von Dalgarnos Schuld überzeugt. Wir stritten uns mehr oder weniger darüber, zumindest muss es für etliche Passanten so ausgesehen haben.«
In höchster Konzentration beugte sich Rathbone ein wenig über den Tisch.
Monk wurde es heiß und kalt. Er zitterte. »Sie griff nach mir, als wollte sie meine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Und dann riss sie mir den Knopf von der Jacke. Das war der Knopf in ihrer Hand.«
»Mehrere Stunden
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