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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Selbstmitleid. Sie bat um das Ende, wollte keine Hilfe, sondern allein sein.
    Hester hatte keine Ahnung, ob das Mädchen sich erholen würde oder nicht. Sie war unsicher, ob sie ihr helfen konnte, und wenn ja, wie. Vielleicht war es das Beste, sie allein zu lassen, aber das konnte sie nicht. Ihr eigener Lebenswille nötigte sie zu verhindern, dass ein anderer aufgab. Etwas anderes war, sich geschlagen zu geben, aber so weit war sie noch nicht.
    »Wer hat Ihnen das angetan?«, fragte sie. »Möchten Sie den nicht aufhalten, bevor er jemand anderem etwas antut?«
    Alice drehte den Kopf ein wenig zur Seite. »Den können Sie nicht aufhalten. Das kann niemand.«
    »Man kann jeden aufhalten, wenn man weiß, wie, und wenn genug von uns es versuchen«, sagte Hester entschlossen. »Wenn Sie mithelfen. Wer ist er?«
    Alice wandte den Blick wieder ab. »Es geht nicht. Er ist im Recht. Ich schulde ihm Geld. Ich habe zu viel geborgt, und dann konnte ich es nicht zurückzahlen.«
    »Wem? Ihrem Zuhälter?«
    Alice starrte an die Decke. »Ich kann es Ihnen genauso gut sagen. Jetzt kann er mir nichts mehr tun. Aber seinen Namen kenne ich nicht, nicht seinen richtigen Namen. Damals war ich anständig, ich war Gouvernante! Können Sie sich das vorstellen? Ich habe Kinder feiner Leute unterrichtet. In Kensington. Dann habe ich mich verliebt.« In ihrer Stimme war unermessliche Bitterkeit, und sie sprach so leise, dass Hester Mühe hatte, sie zu verstehen. »Wir haben geheiratet. Sechs glückliche Monate hatten wir … dann wurde mir klar, dass er spielte. Könnte nichts dagegen tun, sagte er. Vielleicht hatte er Recht. Jedenfalls hörte er nicht auf … und fing an zu verlieren.« Sie atmete tief durch und keuchte auf vor Schmerz. Erst nach einem Moment konnte sie weitersprechen.
    Hester wartete.
    »Ich habe Geld geborgt, um seine Schulden zu zahlen … dann verließ er mich«, sagte Alice. »Und das Geld musste ich immer noch zurückzahlen. Damals sagte der Geldverleiher, er könnte dafür sorgen, dass man sich um mich kümmert … insbesondere … wenn ich in dieses Bordell gehen würde. Es ist für Männer, die saubere Mädchen möchten … die sich gepflegt unterhalten und sich erstklassig benehmen. Man verdiene dort viel mehr. So könnte ich meine Schulden begleichen und wäre frei.«
    »Und das taten Sie dann …«, sagte Hester langsam. Es war sehr leicht nachzuvollziehen – Angst, Versprechungen, Flucht vor der Ausweglosigkeit. Der verlangte Preis konnte nicht schlimmer sein als die Alternative.
    »Zuerst nicht«, antwortete Alice. »Drei Monate lang weigerte ich mich. Bis dahin waren die Schulden um das Doppelte angewachsen. Das war vor zwei Jahren.« Sie verstummte.
    Bessie kam mit einer Tasse Fleischbrühe herüber. Ihre Augen blickten fragend.
    Hester sah Alice an. »Versuchen Sie ein wenig«, sagte sie.
    Alice reagierte nicht. Sie war in Gedanken bei dem Schmerz, der erlittenen Niederlage, vielleicht bei den Kränkungen, die mehr waren, als sie hatte ertragen können.
    Hester legte Alice den Arm um die Schulter und hob sie wenige Zentimeter an. Das Mädchen stöhnte auf vor Schmerzen, aber sie wehrte sich nicht. Wie Blei lag sie in Hesters Armen, die geschienten Arme steif von sich gestreckt, den Körper starr.
    Die Stirn in Sorgenfalten gelegt, hielt Bessie ihr die Tasse an die Lippen, so sanft, dass ihre Berührung kaum mehr war als ein wenig Wärme.
    Es dauerte eine Viertelstunde, bis Alice die Brühe getrunken hatte, und Hester hatte keine Ahnung, ob sie ihr gut getan hatte oder nicht, aber was hätten sie sonst tun sollen?
    Alice fiel in einen ruhelosen Schlaf. Um kurz vor neun kam Margaret, deren Begeisterung über die aufgetriebenen Spendengelder in dem Augenblick schwand, in dem Hester ihr erzählte, was in der Nacht geschehen war.
    »Das ist ungeheuerlich!«, schimpfte sie. »Sie meinen, da draußen leiht jemand anständigen Frauen, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken, Geld, und dann verlangt er, dass sie es zurückzahlen, indem sie in einem Bordell arbeiten, das von Männern aufgesucht wird, die Frauen wollen, die sie für anständig halten … um … Gott weiß was zu treiben!«
    »Und jetzt, wo die Polizei überall herumläuft, fehlen ihnen die Einkünfte, um ihre Schulden abzuzahlen, und sie werden geschlagen«, setzte Hester die Tirade fort. »Das ist ja genau das, was ich meine. Fanny gehört womöglich auch dazu, nur dass sie zu verängstigt ist, um es uns zu erzählen.« Sie dachte an Kitty, die

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