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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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denen sie ihr ganzes Leben verbracht hatte. Sie sah den Schmerz und die Angst von innen, und das raubte ihr die Leidenschaftslosigkeit, die man bei kritischen Verletzungen wie diesen brauchte, um praktische Hilfe leisten zu können.
    »Suchen Sie Mr. Lockhart«, ordnete sie an und sah die Erleichterung in Bessies Miene, dass sie etwas Nützliches tun und gleichzeitig der schrecklichen Situation entkommen konnte. Sie war so schnell aus der Tür, dass sie nicht einmal mehr nach ihrem Hut griff.
    »Miss Baltimore!«, sagte Hester entschlossen. »Wären Sie so freundlich, mir die Binde dort auf dem Tisch zu reichen? Und dann holen Sie mir eine Schiene aus dem Schrank da drüben.« Sie zeigte mit der anderen Hand darauf. »Nein, gleich drei.«
    Sehr langsam stand Livia auf. Sie sah so blass aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen.
    »Bitte machen Sie schnell«, wies Hester sie an und streckte die Hand aus.
    Livia gehorchte, bewegte sich aber immer noch wie in Trance, hantierte mit dem Verband herum, rollte die Enden ein und ging dann zum Schrank hinüber. Nach einem Augenblick kam sie mit drei Schienen zurück und reichte eine Hester.
    Hester griff danach. »Würden Sie jetzt bitte die Schultern des Mädchens festhalten. Lehnen Sie sich über sie. Sie muss ganz ruhig liegen.«
    »Was?«
    »Tun Sie's einfach! Drücken Sie mit Ihrem Gewicht auf ihre Schultern. Halten Sie sie fest, aber vorsichtig.« Sie schaute auf. »Machen Sie schon! Ich werde die Knochen richten, damit sie so gerade wie möglich wieder zusammenwachsen. Jemand muss sie festhalten. Es ist sehr viel besser, das zu tun, solange sie sowieso bewusstlos ist. Können Sie sich vorstellen, wie weh ihr das tut, wenn wir sie so liegen lassen, bis sie wieder zu sich kommt?«
    Livia stand wie angewurzelt da.
    »Sie können sich dabei nicht anstecken! Tun Sie's einfach!«, fuhr Hester sie an. »Ich kann es nicht allein. Sie sind hergekommen, um herauszufinden, wer Ihren Vater umgebracht hat. Wenn Sie es nicht einmal über sich bringen, sich diese Welt genauer anzuschauen, wie wollen Sie dann etwas darüber in Erfahrung bringen? Sie möchten, dass diese Menschen Ihnen helfen? Dann sollten Sie besser selbst mal zupacken.«
    Livia sah immer noch so aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen, aber sie legte der Frau langsam die Hände auf die Schultern und beugte sich vor, um ihr Körpergewicht zu verlagern.
    »Vielen Dank«, sagte Hester. Dann nahm sie vorsichtig den Unterarm, wo sie das widerliche Knirschen der Knochen spürte, und zog den Arm gerade. Der junge Mann reichte ihr die Schiene und die Bandagen, legte sie mit sanften Händen an den Arm, und sie band sie so fest, wie sie es wagte, zusammen. Zum Glück war die Haut unverletzt, sodass es keine Infektionen durch Schmutz geben konnte, aber sie wusste sehr wohl, dass sie womöglich beträchtliche innere Blutungen hatte, gegen die sie nichts tun konnte.
    Mit Livias verschreckter, zögerlicher Hilfe richtete sie auch die übrigen Knochen. Der große Mann schürte das Feuer und holte mehr Wasser. Hester machte Umschläge für die gebrochenen Rippen und das Schlüsselbein und legte sie vorsichtig darauf.
    »Jetzt können wir nur noch abwarten«, sagte sie schließlich.
    »Wird sie wieder gesund?«, fragte der große Mann.
    »Ich weiß nicht«, sagte Hester aufrichtig. »Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht.«
    »Ich …« Er schluckte. »Es tut mir Leid, wenn ich vorhin ein bisschen schroff war. Sollte 'n Auge auf sie haben, aber sie gehört nich' hierher. Die halbe Zeit hab ich keine Ahnung, was sie treibt.« Er fuhr sich mit seiner breiten Hand über das Gesicht, wie um die Gefühle wegzuwischen. »Heiliger Strohsack! Warum musste die blöde Kuh ihr Maul auch so aufreißen? Wie oft hab ich ihr gesagt, sie soll die Klappe halten! Manche haben einfach nicht den Verstand eines Neugeborenen! Diese Schweine glauben, mit einer halben Krone könnte man deine Seele kaufen. Scheißkerle!« Aus seiner Kehle drang ein tiefes Knurren, als wollte er sich räuspern und ausspucken, dann überlegte er es sich anders.
    »Sie können jetzt erst einmal nichts mehr für sie tun«, sagte Hester sanft. »Sie können ruhig nach Hause gehen.« Sie wandte sich an Livia Baltimore. »Und Sie auch. Steht denn Ihre Kutsche noch irgendwo in der Nähe?«
    »Ja«, erwiderte Livia leise. Hester fragte sich, welchen Empfang das Dienstmädchen ihr bereiten würde. Wahrscheinlich würde es die Missbilligung, die es nicht

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